Leben mit Kindern

„Ich konnte mein Baby nicht lieben“ Stella schreibt über ihre fehlenden Muttergefühle

11. März 2021

Viele Mütter verlieben sich nicht Hals über Kopf direkt nach der Geburt in ihr neugeborenes Kind- und haben deswegen große Schuldgefühle. Auch bei mir hat es ein paar Wochen gedauert, bis sich wirklich die glücklichen Muttergefühle eingestellt haben. Heute schreibt Stella ehrlich darüber wie es für sie war, als sie sich nicht sofort in ihr Baby verlieben konnte und über ihre fehlenden Muttergefühle.

Fehlende Muttergefühle: Immer noch ein Tabu!

Ich weiß nicht, ob ich mit diesem Thema ein Tabu breche und dieses Thema noch immer zu empfindlich ist, um ins Licht der Öffentlichkeit gerückt zu werden oder hat es sich mittlerweile gemeinsam mit der Frauenemanzipation in den Alltag eingeschlichen? Mich beunruhigt auch die Tatsache, dass es in unserer Gesellschaft nicht akzeptabel ist, zuzugeben, dass man sein Kind nicht von der ersten Sekunde an lieb gewonnen hat, sobald es auf die Welt gekommen ist.

Es ist auch unerhört zuzugeben, dass einem die Mutterschaft schwerfällt, dass du vielleicht nicht recht weißt, wie du nun mit dieser neuen Rolle umgehen sollst und, dass das Mamasein eigentlich nicht so hervorragend zu dir passt, wie es sollte bzw. wie von dir erwartet wird. Ich weiß nur, dass mir dieses Thema am Herzen liegt, denn mich betraf es und ich bin vielleicht noch immer ein bisschen davon angeknackst und die Tatsache, dass es nicht als normal betrachtet wird, sondern eher als unkonventionell und atypisch, schmerzt mich am meisten.

Schamgefühle: Bin ich irgendwie krank?

Ich fragte mich lange, sehr lange sogar, was mit mir los ist? Wieso fühle ich das nicht? Ist mit mir alles in Ordnung oder soll ich mir ernsthafte Gedanken darüber machen, einen Psychologen aufzusuchen?

Als ich erfuhr, dass ich schwanger war und es bekannt gab, geriet ich erst einmal in panische Angst. Ich hatte Angst, was mit meinem Körper nun geschehen wird, wie ich die Schwangerschaft ertragen werde, wie ich die Geburt überstehen sollte und Angst vor all den neuen, unbekannten Sachen, die auf mich zukamen, ohne dass ich mich bereit dafür fühlte.

Von allen anderen Mamas, mit denen ich redete, wurde mir eins versichert: Dass man das Baby von dem Moment an, wenn man die zwei blauen Striche sieht, liebt, und dass diese Liebe mit nichts auf der Welt vergleichbar sei. Dass, wenn ich das Baby das erste Mal erblicken würde, sofort in den Bann gezogen werde und überall, wo ich mich von da an befinden werde, diese Liebe spüren würde.

Da bei mir der erste Funken ausblieb, begann ich zu googeln. Ist die Liebe zwischen Kind und Mutter wirklich so etwas Besonderes und Märchenhaftes? Ich googelte Mutterliebe, Mamasein, las verschiedene Briefe und Texte und sogar Sprüche, wie Mutter-Tochter-Sprüche, die die Liebe zwischen Mama und Kind beschrieben.

All das waren zweifelhafte Versuche, mich damit identifizieren zu können. Die ganze Zeit fragte ich mich, was ist los mit mir? Wieso fühle ich das nicht? Mich überkam Scham und ich hatte ein schlechtes Gewissen, was innerlich an mir nagte.

Nach der Geburt: Reicht mein Gefühl für das Baby?

Dann kam der Tag, an dem ich mein Baby bekommen habe und sie legten es mir an die Brust. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass ich nichts gespürt hätte, ich spürte einen unglaublichen Frieden, dass ich die Geburt endlich hinter mir hatte und eine Art Ansturm von Emotionen, doch dies alles schien mir nicht gut genug. Es schien nicht diese Liebe zu sein, von der alle anderen Mamas reden.

Was nun? Was habe ich nur angestellt? Ich habe mein altes Leben geopfert und es ist augenblicklich verschwunden, meine Partnerschaft, meine Identität und meine Zukunft haben sich unwiderruflich verändert – wofür?

Warum fühle ich mich nicht so wie in der Werbung?

Warum fühlte ich mich so? Stimmt etwas nicht mit mir? Ich bin kaum Mama geworden und schon war ich davon überzeugt, eine schlechte Mutter zu sein. Ich fühlte mich auch irgendwie verraten. Wieso hatte mich niemand darauf vorbereitet? Wieso hat mir niemand im Voraus gesagt, dass nach der Geburt auch solche Gefühle aufkommen?

Bücher, Elternzeitschriften, Filme, Fernsehwerbungen und sogar Marketingkampagnen über Windeln bis hin zur Babyseife prägten in mir mein Leben lang das Bild, dass sich jede Mutter augenblicklich in ihr Neugeborenes verliebt und dass dies die Regel wäre.

Doch ist es die Regel? Gibt es die Liebe auf den ersten Blick unmittelbar nach der Geburt? Vielleicht… Vielleicht aber auch nicht. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass der Körper einer Frau während der Geburt Endorphine freilässt, die für diese Liebe zuständig sind. Doch was ist mit meinen Endorphinen passiert, wo sind sie verloren gegangen?

Nachdem ich eine passende Bezeichnung und Anamnese gefunden hatte, die tatsächlich existiert und meinen Zustand ziemlich genau beschrieben hatte, fragte ich mich, ob es das ist. Bin ich doch nicht unmenschlich, sondern nur krank? Ich fragte mich nun, ob bei mir diese postpartale Depression dafür verantwortlich wäre, dass ich mich nicht wie die anderen Frauen in einer Nanosekunde in mein Baby verliebte.

Die neue Mutter-Identität annehmen fiel schwer

Bin ich doch zu verwöhnt und egoistisch, um die Tatsache zu akzeptieren, dass sich mein Leben nun verändert hat? Ich habe endlich das Ziel erreicht, aber der Lohn und die Feier blieben aus. Das kann doch nicht alles sein, wo ist meine Belohnung, dass ich das alles geschafft habe? Ich bin nun eine andere Person, erschöpft, verletzt und emotional zerbrochen, mir wurde klar, dass ich nun für ein neues Leben zu 100 % verantwortlich bin. Ich brach in Tränen aus.

Wir sind zu Hause angekommen und ich war enttäuscht. Ich war sogar schockiert, dass ich mich nicht so fühlte, wie ich sollte, während ich mein Baby hielt. Die vielen Gedanken, die in diesen Momenten durch meinen Kopf gingen, verschlungen mich immer mehr in einer dunklen Spirale der Schande.

Was alle von mir erwarten…und die Realität

Für mich war das eine schwere Zeit, denn egal, wohin ich mich wendete, ich wurde damit konfrontiert, wie ich mich fühlen sollte, doch nirgendwo bekam ich eine Erklärung dafür, wieso ich mich nicht so fühlte, wie ich sollte.

Ich quälte mich selbst mit inneren Monologen, jedes Mal, wenn ich das Baby hielt oder mich um seine Bedürfnisse kümmerte. Mein Kopf sagte mir, dass ich verliebt sein sollte, dass ich etwas Außerordentliches und Mächtiges fühlen sollte, während ich mein Baby anschaute.

Wo ist mein Movie-Augenblick mit meinem Baby, wieso kommt bei mir die Liebe so langsam? Wieso wurde mir vermittelt, dass diese Liebe anders sei, besonders und speziell und nun, nun kommt sie langsam und zögernd. Ich quälte mich von Tag zu Tag.

Auch Mutterliebe braucht Zeit

Doch wahre Liebe braucht Zeit zum Wachsen und um sich zu entwickeln. Ich möchte damit keinesfalls die momentane Liebe zwischen Mutter und Kind degradieren. Ich möchte nur erklären, dass es eigentlich ganz normal ist, dass auch die Mutterliebe ihre Zeit braucht, auch wenn es die meisten Leute nicht zugeben wollen.

Die Zeit verging und ich war schockiert, erschöpft, am Ende meiner Kräfte und in die Enge getrieben, insgeheim fragte ich mich: Für wen ist das großartig? Für welche Frau mit gesundem Verstand ist das wunderbar? Wer tut sich so etwas an?

Ich war richtig deprimiert und sammelte nun die Trümmer auf, die von meinem alten Leben zurückgeblieben waren, während ich versuchte, mich in die neue Rolle einzufügen.  Ich habe das Muttersein unterschätzt und es war für mich lange Zeit eher eine Bürde als emotionaler Gewinn, es war eher eine Auseinandersetzung mit dem Unvermeidbaren. Als ich ganz am Boden war, sehnte ich sogar den Tag herbei, wenn mein Kind erwachsen sein würde und das Haus verlässt.

Dann werde ich endlich wieder mein Leben zurückbekommen.

Dann bekam ich mein Leben in den Griff

Und dann geschah es, ich begann langsam aber sicher mein Leben in den Griff zu bekommen. Mein altes Leben wollte ich gar nicht mehr, ich habe mich endlich in meine neue Rolle eingelebt und genieße sie. Den einen Tag mehr, den anderen Tag weniger, aber ich bin endlich das Gefühl losgeworden, lieber irgendwo anders sein zu wollen. Mithilfe meines Partners, meiner Familie und Freundinnen habe ich es geschafft, eine „neue Identität“ zu bekommen, ein neues Ich zu erlangen und mich so zu fühlen, als wollte ich nichts anderes als genau dieses Ich zu leben.

Ich bin traurig, weil ich mich so lange „falsch“ gefühlt habe und das Schlimmste war, dass ich nicht offen darüber reden konnte. Denn Mutterschaft hat zwei Seiten und nicht immer ist alles tralala und rosarot, es gibt auch negative Gefühle, die zum Mamasein dazu gehören und sie sind ebenfalls normal, wie diese Liebe auf den ersten Blick, über welche doch so viel geredet wird, wodurch man es anders einfach nicht kennt.

Keine Schuldgefühle mehr wegen der fehlenden Muttergefühle

Doch es ist nichts Schlechtes dabei, wenn man sich nicht sofort in sein Baby verliebt, das heißt keineswegs, dass man eine schlechte Mutter ist, es bedeutet nur, dass du auch ein Mensch bist, der Zeit braucht, um sich auf die enormen Veränderungen, die dir gerade passiert sind und dein bisheriges Leben wortwörtlich “zerfetzt” haben, einzustellen.

So wie Liebe ein normales Gefühl ist, ist auch die Panik, die Angst und das Gefühl von der Außenwelt isoliert zu sein ganz normal. Denn Mutter sein, ist kein Märchen, es ist Realität und es ist hart. Denn niemand möchte sich isoliert fühlen und eingeschränkt sein, aber Mutterschaft ist allzu oft genau so.

Ich möchte mich nicht schlecht fühlen und mit meinem Gewissen innerlich kämpfen müssen, nur weil ich mir Alleinzeit gönnen möchte und faul sein will während meine Kinder im Kindergarten sind. Während ich mich im Kreis drehe, eilt die ganze Welt nach vorne und ich darf nicht einmal deswegen traurig sein?

Ich habe Angst, dass meine Worte nun falsch verstanden werden. Denn ich liebe meine Kinder, nein, ich vergöttere sie und ich könnte nie etwas tun, was ihnen Leid zufügen würde und allein der Gedanke, dass ihnen etwas Schlechtes passieren könnte, tut mir physisch weh.

Mutterschaft bedeutet Opfer erbringen- und die darf man auch offen ansprechen

Ich mag lediglich die Tatsache nicht, was mir mit der Mutterschaft alles genommen wurde und was mir das Muttersein alles gestohlen hat. Auch möchte ich nicht, dass die Opfer, die man als Mutter aufbringt, gefeiert werden, sondern lediglich ans Tageslicht bringen und sagen, dass Mutterschaft auch andere Seiten hat als die märchenhaften Momente. Es ist nichts Verwerfliches dabei, sich so zu fühlen und dieser Welt einen Beitrag leisten zu wollen, anstatt sich damit abzufinden, dass Kochen, Wäschewaschen und Hausarbeit die Highlights des Tages sind.

Denn dies erniedrigt mich als Mensch, als Frau und diese Handlungen von Tag zu Tag endlos zu wiederholen, ist doch ein sicherer Weg in die Klapsmühle. Und ich bin nicht weniger Mutter, wenn ich auch offen über meine Gefühle rede, auch wenn sie nicht in den konventionellen Gesellschaftsrahmen passen.

Ich möchte ebenfalls keine Mütter, die sich in ihr Kind auf Anhieb verliebt haben, verurteilen oder irgendwie degradieren. Ganz im Gegenteil, ich bin neidisch auf diese Mamas, die das Mamasein so leicht aussehen lassen und die auch in mir das Bild der schaukelnden, lächelnden und nicht selten beneidenswert gut aussehenden Mutter eingeprägt haben.

Doch wie alle anderen Veränderungen braucht auch diese Zeit zu reifen und angenommen zu werden und ich hoffe, dass mein Geständnis ein bescheidener Anfang sein wird, der dazu beitragen wird, dass sich weniger Mamas mit Schuldgefühlen alleine herumschlagen müssen und denken, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, nur weil es gesellschaftlich nicht auf breite Akzeptanz stößt und selten darüber geredet wird.

Über die Autorin:

Stella ist eine Mutter mit Leib und Seele, die einen Abschluss in Germanistik hat und eine große Liebe für die Feinheiten der Astrologie hegt. Wenn sie nicht mit ihren Kindern beschäftigt ist, erstellt sie Inhalte für Muttergeist, eine Community für sowohl junge als auch erfahrene Mütter, die zusammenkommen und mehr über hilfreiche Eltern-Hacks, Schwangerschaft und postpartale Gesundheit sowie mehr über die besten Babyprodukte erfahren möchten. Du kannst Stella auf Instagram und Pinterest folgen.

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1 Kommentar

  • Reply Maria 13. März 2021 at 9:13 pm

    Immer wenn man ein Bild einer Rolle im Kopf hat und man selbst dann nicht so ist, ist es schwer für einen. Es könnte helfen, sich zu überlegen was man einer Freundin sagen würde, wenn sie in der Situation wäre. Von außen sieht es nämlich immer ganz anders aus (oft unspektakulärer). Es ist doch ganz normal, dass man sich nicht automatisch in jemanden Hals über Kopf verlieben muss, nur weil er 9 Monate lang unsichtbar bei einem war.
    Ich persönlich liebte meine Kinder von Anfang an, auch wenn es mehr so ein „es ist mein Kind also liebe ich es – basta!“ Gefühl war. Die ersten Wochen wusste ich aber nie so recht, was ich denn mit den Kleinen anfangen sollte. Beim Zweiten nahm ich mir vor, dass ich dieses mal ganz viel mit ihm kuscheln würde. Ganz nah sein. Aber genau wie beim Ersten konnte ich es nicht wirklich. Im Tragetuch oder beim Stillen war es voll ok, aber im Bett oder auf dem Arm wusste ich einfach nicht, was ich mit ihm sollte. Aber das hat sich erübrigt, als die Babys etwas aktiver wurden. Alles gut. (Ich finde auch heute noch neugeborene Babys nicht wirklich süß. Erst so ab 3 Monate, besser noch 6 Monate werden sie nett finde ich. Ich schau zwar schon gern in Kinderwägen, aber in den Arm nehmen muss jetzt nicht sein.)
    Jeder ist anders, aber jede Mama ist eine gute Mama, bzw. genau die richtige Mama.

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