Leben mit Kindern

Eisbaden ist gesund! Der Erfahrungsbericht einer Mutter

2. November 2021
Eisbaden gesund

Eisbaden ist sehr gesund und der Trend schwappt aus Osteuropa langsam aber sicher auch hier herüber. Ich bin von Natur aus neugierig. So habe ich insbesondere seit dem Ausbruch der Corona Pandemie „kleine Fluchten aus dem Alltag“ in den vergangenen Monaten sehr zu schätzen gelernt. Insbesondere wenn man als Mama eine fünfköpfige Familie durch die Wellen einer Pandemie manövrieren muss. Wenn man die Augen und Ohren offenhält, bieten sich auch im Alltag kleine Kicks, ja oft liegen sie direkt vor einem. Und so erzählte mir eine Freundin begeistert vom Eisbaden und meine spontane Reaktion war: „Nächstes Mal bin ich dabei und springe ins kalte Wasser!“

Eisbaden ist gesund: Anleitung mit dem Experten

Schon oft habe ich Menschen beobachtet, die zur ungemütlichsten Witterung mit Neoprenanzug die Seen im Winter durchkraulen. Oder noch krasser, diejenigen, die bei Schneetreiben mit einem Hammer Löcher in die Eisdecke schlagen, um ein für einige Minuten ein Kältebad zu nehmen. Eisbaden, Winterschwimmen oder Kältedipping sind im Trend, gleichermaßen ist der Sprung ins kalte Wasser keine neue Erfindung, nur hatte ich persönlich noch nie in Betracht gezogen, es selbst mal auszuprobieren. Einerseits frage ich mich, auf was ich mich wohl eingelassen habe – andererseits kann ich es kaum erwarten, den Sprung ins kalte Nass endlich auszuprobieren.

Wir verabreden uns mit dem Experten für Eisbaden Moritz Ross, der nach der Wim Hof Methode das sogenannte Icedipping anleiten wird. Ich hatte im Vorfeld recherchiert, dass der niederländischen Extremsportler Wim Hof dieses basierend auf den drei Säulen Atemübungen, Kältetherapie und Willenskraft anwendet. Perspektivisch soll sich so das Immunsystem stärken, man kann langfristig Erkrankungen vorbeugen und auch die psychische Gesundheit wird gestärkt. Klingt perfekt!

Winterschwimmen ist auch eine persönliche Grenzüberschreitung

Für mich steht momentan noch eher im kurzfristigen Fokus, meine eigene „rote Linie“ zu überschreiten. Also auszuloten, wo meine Grenzen liegen und diese auch mal ganz bewusst zu überschreiten, um zu sehen, was es mit mir macht, wie es sich anfühlt, mit Gewohnheiten zu brechen. Wie lange werde ich die Kälte aushalten? Wie wird das Icedipping ablaufen? Welche inneren Schweinehunde werde ich zum Leben erwecken, wenn ich an der Wasserkante stehe? Wie viele Stimmen in meinem Kopf werden lautstark protestieren? Werde ich die anvisierten zwei Anfänger- Minuten im Wasser ausharren können oder nach wenigen Sekunden den Rückzug antreten?

Und so stehe ich an einem Freitag um acht Uhr morgens auf einem Parkplatz am See: In Winterjacke und Trainingshose, über dem Badeanzug. Eine Wärmflasche und Thermoskanne Tee, Flip-Flops und Pudelmütze, sowie Wechselunterwäsche nebst zwei Badehandtüchern im Rucksack. Schon um sieben Uhr schrieb meine Freundin: „Bist Du aufgeregt? Hi Hi?“ als würden wir etwas Verbotenes tun! Und irgendwie verrückt, entrückt der Realität fühlt es sich auch an, als acht weitere Leute eintreffen, in bunten Pudelmützen und Daunenjacken. Alle lachen, sind hibbelig und noch verschlafen gleichzeitig, quatschen ausgelassen durcheinander, als ob die Worte die Situation erst real werden lassen.

Eisbaden und die richtige Atemtechnik

„Hallo Gruppe!“ sagt Moritz Ross und stellt sich als Instructor (noch in Ausbildung) der Wim Hof Methode vor. Er erklärt den Ablauf und die Atemtechnik genau. „Es ist wie beim Yoga oder bei der Geburt – die richtige Atmung hilft euch, es auszuhalten!“ Wir machen ein paar Trockenübungen an Land: „Nicht hecheln. Atmet durch die Nase ein und den Mund aus. Die Luft nicht nur in die Lunge, sondern bis tief runter in den Bauch ziehen – Nehmt so jetzt 30 tiefe Atemzüge!“ Dann erzählt er noch vom Mindsetting, der richtigen Einstellung. Nur wer mit sich im Klaren ist, jetzt in das kalte Wasser zu gehen, wird die Überwindung gut meistern und sie gar nicht als solche empfinden.

Eisbaden in der Gruppe motiviert

Dass ich nicht mehr träume, erkenne ich spätestens, als ich mich meiner Kleidung entledige. Die Außentemperatur an diesem Morgen beträgt knapp acht Grad Celsius, die Temperatur des Sees liegt wenige Grad darunter. In diesem Moment habe ich alles um mich herum ausgeblendet. Ich folge der verrückten „Herde“, denn wir sind eines, das Vorhaben schweißt zusammen. Zunächst spüre ich das kalte Wasser kaum. Ich wate unbeirrt in den See, muss mich gar etwas beeilen, den anderen hinterherzukommen. Bloß nicht abgehängt werden, denn ist man erstmal schultertief im Wasser, läuft die Zeit. Moritz leitet uns an, die Stoppuhr im Blick. Er mustert uns, fixiert die einzelnen Gruppenmitglieder.  Wenn keine Corona-Beschränkungen herrschen,  stellen sich alle kreisförmig auf und legen sich die Arme gegenseitig auf die Schultern. Das stelle ich mir schön vor, da es das Gruppengefühl und den Mut sicher noch verstärkt, aber heute stehen wir mit Abstand, die Hände in Handschuhen verschränkt auf dem Kopf mit Mütze.

Mein Kälteschock und was dann mit der Psyche passiert

Dann sticht die Kälte zu, wie tausend kleine Nadeln. Bei mir besonders schmerzhaft an den Knien und Knöcheln, so muss es sich anfühlen, tätowiert zu werden, denke ich noch, bevor mir ein „Scheiße, ist das kalt!“ rausrutscht. Was mache ich hier? Ich könnte schreien. Es einfach wegschreien, wie es bei der Geburt meiner Kinder auch getan habe. Doch Moritz schaut mir in die Augen an und sagt: „Atme! Du musst es weg atmen. Zwei ein, drei aus: Eins, zwei. Eins, zwei, drei.“ Dann an alle gerichtet: „Kämpft nicht gegen die Natur – Ihr seid Teil von Ihr!“ Und plötzlich macht es Klick. Vielleicht liegt es an seinem Befehlston oder daran, dass ich nichts mehr vor Kälte spüre.

Eins mit Mutter Natur

So oder so schaffe ich einen Perspektivenwechsel zu vollziehen: Plötzlich spüre ich die sanften Wellen des Wassers, wie sie mich leicht hin und her wiegen. Ich werde vom See aufgenommen, stehe mitten in ihm. Es ist herrlich! Ich höre den Wind und einige Vögel. Ich blicke in den Himmel, sehe das große Ganze: Den halbrunden Horizont aus Kiefern und Gewächs, der das Wasser vom Himmel trennt. Nein, der Wasser und Himmel verbindet. Es ist wunderschön! „Zwei Minuten sind um,“ sagt Moritz da. „Für diejenigen von Euch, die das erste Mal dabei sind, heißt es jetzt langsam rausgehen.“ Und ich denke irritiert: „Was? Nein! Schon? Ich bin doch grad erst rein!“ Und fast widerwillig wate ich zurück zum schmalen, morastigen Strandabschnitt.

Totaler Fokus

Zwei Fußgänger rufen sowas wie „Respekt! Toll!“ aber ich nehme sie nur dumpf wahr, fast störend. Ich bin in diesem Moment viel zu sehr mit mir beschäftigt, muss mich fokussieren, mich möglichst schnell warm anzuziehen, auch wenn ich die Kälte kaum spüre. Ich ignoriere den Sand zwischen meinen Zehen, streife automatisiert Socken über die Füße. Es fühl sich schwerfällig an, zu langsam, was ich da mache, aber die anderen sind auch mit ihren ausgekühlten Gliedmaßen beschäftigt. Einige Minuten kommen die erfahreneren Icedippers aus dem See, ich sehe Moritz` rot gefärbte Haut. Sah ich auch so aus?! Die Anderen trinken dampfenden Tee im Stehen, halten Wärmflaschen an die Brust gedrückt und sind unterschiedlich entzückt bis entrückt. Ich kann nicht anders, muss plötzlich lachen. Ich fühle mich befreit, mutig und stark. Ich bin überrascht über den unmittelbaren, kurzfristigen Effekt.

Nach dem Eisbaden heißt es Aufwärmen!

Dann machen wir gemeinsam ein paar Aufwärmübungen, die an Thai Chi erinnern. Es geht darum, das kalte Blut in den Extremitäten mit dem warmen Blut im Rumpf zu durchmischen. Man muss hierbei langsam machen, darf sich -wie auch beim gesamten Ritual des Icedippings- nicht überschätzen. Dabei wird mir ganz plötzlich sehr kalt. Ja, richtig unangenehm kalt, sodass ich zu zittern beginne, kurz vor Zähneklappern bin. „Das ist ganz normal,“ beruhigt mich Moritz und wir treten gemeinsam den Rückweg an, um nun schnell ins Warme zu kommen. Ich bin völlig klar im Kopf, habe einen Adrenalinkick wie nach zehn Tassen Kaffee, gleichzeitig wäre jetzt Autofahren aufgrund des Zitterns jetzt unvernünftig.

Daheim sehe ich zu, dass ich schleunigst unter die heiße Dusche komme und dort verweile ich deutlich länger als sonst. Ein bisschen Bedenken habe ich schon, mich erkälten zu können und so ziehe ich mich extra warm an, trinke viel Tee und esse ein extra-gesundes Frühstück. Ich schreibe meiner Freundin: „Erst Kälteflash! Jetzt Hitzeflash! Ich bin voller Energie!“ Sie: „Könnte Bäume ausreißen, den Garten umgraben, aber auf meine Arbeit am Rechner habe ich grad gar keine Lust! Bist Du beim nächsten Mal wieder dabei?“ Ich muss an Moritz denken. Als er aus dem Wasser kam hat er einen lauten Schrei von sich gegeben. Ein Befreiungsschrei, der Inbegriff des Gefühls beim Icedipping. Ich war mutig, aber nicht mutig genug, auch zu schreien. Dabei hätte es sich gut angefühlt. Zu neu, viele Menschen um mich herum. Zu befangen, ich selbst. Vielleicht beim nächsten Mal. Und ich antworte ihr: „Klar, ich kann‘s kaum erwarten!“

Mehr zum Thema Eisbaden: Buchtipp

Hier noch ein Buchtipp zum Thema Eisbaden: „Mein Jahr im Wasser“ von Jessica Lee

Text: Sandy Bossier-Steuerwald

 

 

 

 

 

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