Leben mit Kindern

Das Wechselmodell für das Kind: So kann man Konflikte einvernehmlich lösen

27. April 2021
Wechselmodell Kind

Das Wechselmodell kann nach einer Trennung für das Kind gut funktionieren. Konflikte ergeben sich trotzdem oft zu  den Themen Umgang und Unterhalt. Nach der elterlichen Trennung dient die Umgangsvereinbarung als Fundament für das neue Familienleben; sie regelt, wann welcher Elternteil zuständig und verantwortlich ist, welche Zeitabschnitte die Kinder wo und mit wem verbringen. Beim Wechselmodell, das ca. 10% aller Familien in Deutschland leben, sind beide Elternteile gleichberechtigt in Alltag und Freizeit der Kinder involviert; die Kinder haben zwei echte und gleichwertige Zuhause. Heute schreibt Rechtsanwältin,  Mediatorin und Autorin Dr. Isabell Lütkehaus über dieses Modell des Umgangs.

Das Wechselmodell im deutschen Familienrecht

Umgang im Wechselmodell können Eltern einvernehmlich beschließen oder auf gerichtlichen Wege erstreiten. Vorteile des Rechtswegs sind Klarheit und Entlastung, mit der Gefahr einer Belastung der Elternbeziehung sowie ungewissem Ausgang, da die Familiengerichte uneinheitlich entscheiden. Denn gesetzlich ist das Wechselmodell nicht definiert und wird bei den zumeist älteren Regelungen auch nicht mitgedacht; vielmehr gehen diese unausgesprochen vom Residenzmodell aus, was zu Regelungslücken und Unklarheiten führen kann. Einvernehmliche Regelungen können Eltern in einer Mediation erarbeiten, unterstützt durch die allparteiliche Mediatorin.

Das Wechselmodell einvernehmlich beschließen: Mediation

Dies kann drei zentrale Vorteile mit sich bringen: 

1. Elternschaft stärken

Eine als schmerzhaft empfundene Trennung kann kooperative Elternschaft erschweren. Die Betrachtung der Paargeschichte zu Beginn der Mediation verbessert das gegenseitige Verständnis; die Vergangenheit kann anschließend stehen gelassen werden und beide sich auf ihre zukünftige Rolle als Co-Eltern konzentrieren.

Für Kinder startet die Zukunft mit getrennten Eltern, wenn diese direkt mit ihnen darüber sprechen. Wann, durch wen und wie dies geschieht, hat wesentlichen Einfluss darauf, wie Kinder den Umbruch erleben. Sobald sich in der Mediation abzeichnet, dass eine Lösung gefunden werden wird und mit einer für Kinder erkennbaren, zum Beispiel räumlichen Veränderung zu rechnen ist, kann das Trennungsgespräch geplant werden. Gemeinsam können Eltern dessen Durchführung vorbereiten und es anschließend die Reaktionen der Kinder auswerten, deren Sorgen und Wünsche. 

2. Übergangsmodelle ausprobieren

Wissen Eltern direkt nach einer Trennung noch gar nicht, wie es in ihrem Leben weitergehen wird, dann können Übergangslösungen verabredet und ausprobiert werden. Viele Eltern kommen zu den zwei Zuhause über die Eltern-WG und/oder das Nestmodell und üben so bereits die paritätische Elternschaft in einem getrennten Alltag. Offene Aussprachen in der Mediation über positiven Erfahrungen aber auch erlebten Herausforderungen können helfen, ein längerfristig passendes Umgangsmodell zu erarbeiten, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Alltags aller Beteiligter.

Gleichzeitig üben Eltern Kommunikation und Kooperation, probieren in geschütztem Rahmen aus, Schwierigkeiten anzusprechen, eigene Beobachtungen zu artikulieren, die Sichtweisen und Bedürfnisse des anderen zu verstehen. Und sie lernen, die Signale der Kinder zu lesen und daraus gemeinsam Folgerungen für die Familie zu ziehen. 

3. individuelle Gesamtlösung finden

Entscheiden sich Eltern für den einvernehmlichen Weg, dann sind sie in zahlreichen Fragen rund um Sorgerecht und Finanzen weitestgehend frei, eigene Regelungen zu finden, unabhängig davon, wie im Streitfall ein Gericht entscheiden würde. Und sie können aus den verschiedensten Regelungspunkten ihre einzigartige und von beiden als fair empfundene Gesamtlösung knüpfen. 

Geteiltes Sorgerecht im Wechselmodell

Die große Mehrzahl der Eltern, die das Wechselmodell leben, teilen sich das Sorgerecht, so dass jeder in seiner Zeit einiges alleine entscheiden könnte. Dennoch besprechen viele in der Mediation detailliert sorgerechtliche Themen, damit z.B. vermieden wird, dass ein Elternteil einen Arzttermin oder eine regelmäßige Aktivität zeitlich und örtlich so legt, dass sie für den anderen in seiner Zeit nicht organisierbar wäre. Auch für inhaltliche Erziehungsfragen kann überlegt werden, welche einheitlich geregelt werden, aus Gründen der Kontinuität und guten Versorgung, so z.B. bei kleinen Kindern Essens- und Schlafenszeiten.

Für andere Fragen kann ein einvernehmlicher Rahmen abgesteckt werden, innerhalb dessen jeder Elternteil für sich entscheiden darf. Insbesondere bei sogenannten Stressthemen, wo beiden bewusst ist, dass sie unterschiedliche Vorstellungen haben, so z.B. Medienkonsum, kann dies die Elternbeziehung enorm entlasten. 

Kindergeld im Wechselmodell

Viele finanzielle Regelungen passen beim Wechselmodell nicht so gut bzw. gibt es sogar Regelungslücken, so zum Beispiel beim Kindergeld. Rechtlich steht es beiden Eltern zu, kurz gesagt bezieht es aber der Elternteil, bei dem das Kind überwiegend lebt bzw. gemeldet ist. Sowohl Melderecht als auch Kindergeldrecht sehen zwei gleichwertige Zuhause nicht vor.

Bei zwei Kindern können die Wohnsitze aufgeteilt werden, dann erhält jeder ein Kindergeld, bei einem müssten sie sich jedoch auf einen Elternteil einigen. Dann kann geregelt werden, dass dieser davon etwaige Kosten begleicht, die Hälfte an den anderen Elternteil überweist oder das Geld fließt auf ein gemeinsames Kinderkonto. Manche Eltern entscheiden, dass derjenige Elternteil, der weniger verdient, als Ausgleich das Kindergeld behalten darf. 

Unterhalt im Wechselmodell

Beim Kindesunterhalt gehen Gesetze und die Düsseldorfer Tabelle unausgesprochen vom Grundsatz “einer betreut, einer bezahlt” ausgehen, was beim Wechselmodell nicht passt, da hier beide gleichermaßen betreuen. In der Mediation können Eltern sich hiervon lösen. Entscheidend ist dann nicht, ob ein Unterhaltsanspruch herleitbar wäre, sondern der Blick geht auf das Kind, und was dieses benötigt. Hierfür wird eine Bedarfsliste aufgestellt mit den monatlichen Kosten des Kindes: Fixkosten, vor allem Mietanteil, Kita-Gebühren und Schulgeld, monatliche Auslagen z. B. für Sport und Musik, variable Kosten, z. B. für Lebensmittel sowie außergewöhnliche Auslagen wie Zahnspange, Familienfeiern, Klassenfahrten.

Kindergeld und Unterhalt

Erfahrungen zeigen, dass es für Eltern viel einfacher ist zu besprechen, was ihr Kind braucht, dem sie eine erfüllte und unbeschwerte Kindheit wünschen, als was sie “dem anderen Elternteil” zahlen müssten. Erst in einem nächsten Schritt wird dann überlegt, wer welchen Anteil an den Kosten tragen kann, ggf. werde auch Großeltern und Paten herangezogen. Individuell passende Regelungen können vereinbart werden: ein gemeinsames Kinderkonto, von dem Fixkosten abgehen und jeder per Karte einkaufen kann; Absprachen, ab welchem Betrag hälftig geteilt wird, zum Beispiel für teure Kleidung wie Winterschuhe. Oder ein Elternteil übernimmt die Hortkosten, weil ihm die Nachmittagsbetreuung besonders wichtig ist und der andere bezahlt den Handballunterricht, weil ihm dieser Sport wichtig ist.

Auch der Betreuungsunterhalt kann in der Mediation anders als gesetzlich vorgesehen geregelt werden. Er dient der finanziellen Unterstützung und als Ausgleichszahlung für den hauptbetreuenden Elternteil, der sich die ersten drei Jahre mehr um das Kind kümmert und dadurch weniger arbeiten kann.

Beim Wechselmodell passt diese Regelungen nicht, dennoch kann es Unterschiede in Einkommen und Berufsmöglichkeiten geben, auch über das dritte Lebensjahr hinaus. Blieb ein Elternteil direkt nach der Geburt einige Zeit zuhause bzw. arbeitete nur in Teilzeit und trennen sich die Eltern, wenn das Kind fünf Jahre alt ist, dann besteht ggf. weiterhin beruflich betrachtet ein Ungleichgewicht.

Und dieses lässt sich auch nicht innerhalb kürzester Zeit ausgleichen, selbst wenn beide Eltern nach der Trennung gleich viel Betreuungszeit übernehmen. Das Wohl der Kinder und dem Fortbestand der Familie im Blick, kann es möglicherweise auch gar nicht gewünscht sein, dass der während der Beziehung mehr betreuende und weniger berufstätige Elternteil aus finanziellen Nöten heraus nun all seine Kraft umgehend auf das berufliche Weiterkommen legt.

Ist das Wechselmodell gut für das Kind?

Vielmehr kann es während der ersten Phase des familiären Umbruchs sinnvoller sein, noch mehr für die Kinder da zu sein,  bis der Übergang zu einer Familie mit zwei Zuhause gut gelungen ist. Das gemeinsame Navigieren der Familie durch die Trennungsphase wiegt dann schwerer als die Buchstaben des Gesetzes. 

Trennungseltern signalisieren durch das gemeinsame Erarbeiten der Zukunft ihrer Familie, wie bedeutsam ihnen diese und das Wohl der Kinder ist. Sie leben vor, auf welche Weise belastende Umbrüche überwunden und schwierige Lebenssituationen eigenverantwortlich gemeistert werden können, wie bei zunächst unterschiedlichen Vorstellungen ein einvernehmliches Ergebnis erarbeitet werden kann, zum Wohle aller.

Sie zeigen, dass sie trotz persönlicher Differenzen darauf vertrauen, dass der andere Elternteil ein guter Vater bzw. eine gute Mutter ist. Vertrauen und konstruktive Eltern-Kooperation eine sehr hilfreiche Ausgangslage für das Wechselmodell, letztlich erleichtert sie jedes Umgangsmodells, macht jede Elternschaft und das Leben als Familie nach einer Trennung angenehmer und lebenswerter. 

Über die Autorin:

Dr. Isabell Lütkehaus arbeitet als Mediatorin (BAFM, BM) und Rechtsanwältin seit über zehn Jahren mit Paaren, die nach Trennung und Scheidung Familie bleiben und hierfür einvernehmliche Regelungen finden möchten (www.luetkehaus.berlin) Sie ist Autorin von “Umgang im Wechselmodell” und “Guter Umgang für Eltern und Kinder”, beide erschienen bei CHBeck und dtv. 

 

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1 Kommentar

  • Reply FAMILIE BLEIBEN – Isabell Lütkehaus 28. April 2021 at 7:10 am

    […] Blog von Frau Mutter stellte ich Mitte April die Vorteile einer einvernehmlichen Regelung beim Wechselmodell vor, insbesondere die Spielräume bei Sorgerecht, Erziehungsfragen und sämtlichen finanziellen […]

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