Man weiß ja nie, ob einem etwas gefällt, was man noch nie zuvor versucht hat. In meinem Fall, alleine zu verreisen. Zwar nur für 3,5 Tage und wenig exotisch von Berlin nach Bayern, aber immerhin. Ich bin schon öfters mit Freundinnen für ein paar Tage verreist und auch ohne Kinder zusammen mit meinem Mann. Der Solotrip war tatsächlich nun etwas ganz Neues. Würde ich mich dabei einsam fühlen? Irgendwie bemitleidenswürdig („Die arme Frau hat keinen Partner“)? Würde ich mich vielleicht sogar langweilen ohne die übliche Fremdbestimmung eines Familienurlaubs?
Das erste Mal: alleine verreisen
Nach Pandemie und Lockdowns, die für uns (wie für alle anderen auch) besonders anstrengend war, hatte ich mich im Sommer sehr ausgelaugt gefühlt. Nach Krankheit und Todesfall in der Familie habe ich erstmal gemacht, was ich immer tue: Weitermachen um jeden Preis, funktionieren, produktiv sein. Das ging zunächst auch gut. Einige Monate habe ich so weitergemacht mit dem Arbeitsblätter ausdrucken, in Zoom Calls einwählen und Haushalt wuppen.
Im Juni hat mich das dann eingeholt und ich wusste plötzlich nicht mehr, warum ich dies oder das eigentlich tun soll. Seltsam herausgefallen aus meiner Kontinuität habe ich mich gefühlt. Nach anderthalb Jahren zu Hause, die für uns als Familie weitgehend gut verliefen, habe ich das dringende Bedürfnis nach Zeit nur mit mir gespürt. Und gleich kam das übliche schlechte Gewissen einer Mutter. Warum will ich denn jetzt weg, wo ich alles zu Hause habe, stimmt etwas nicht mit mir?
Zum Glück habe ich einen Partner, der mich in meinen Wünschen und Zielen bestärkt und so wurde mein verfrühtes Geburtstagsgeschenk dieses Mal nichts zum Auspacken, sondern ein paar Tage in einem „Hotel für Erwachsene“ in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen. Ein Glück ist sicherlich auch, dass die Kinder schon groß sind und nicht mehr 24 Stunden beaufsichtigt werden müssen. Noch vor ein paar Jahren wäre das nicht so gut möglich gewesen.
Ich war richtig aufgeregt beim Einchecken. „Reisen Sie alleine, Madame?“ Ich habe gemerkt, wie ich richtig gestrahlt habe bei der Antwort: „Jaaa!“ Als ich mein Zimmer bezog, habe ich mich erstmal „Pretty Woman“-mässig giggelnd und jubelnd mit Anlauf aufs Bett geworfen. Ihr erinnert euch an die Szene….Tolle Hotelzimmer haben eine ähnliche Wirkung auf mich wie auf Julia Roberts‘ Charakter Vivian – auch ohne Richard Gere im Bett.
Alleine essen, alleine wandern, alles alleine!
Was wohl das Schönste ist beim alleine reisen: Man überrascht sich selbst. Die erste Wanderung ganz allein durch den noch dämmrigen Wald am Morgen ohne eine Menschenseele…Ich hatte Bedenken, wie ich das wohl finden werde. Ergebnis: Ich hatte überhaupt keine Angst und habe es sogar genossen! Es war tatsächlich wie eine gehende Meditation und ich werde nun auch hier den Grunewald unsicher machen. Obwohl ich da nicht alleine sein werde und ich danach nicht in die Sauna darf, sondern Wäsche legen oder Ablage machen.
Alleine essen: Frühstück und Mittagessen waren gar kein Problem- nach dem dritten Tag abends alleine zu sitzen wurde es doch etwas einsilbig mit meinen Selbstgesprächen. ich konnte immerhin in ein Kaminfeuer starren, bis ich fast selbst hypnotisiert war. Mir wurde dann aber Gesellschaft angeboten und den Rest des Essens habe ich an einem Abend dann am Nebentisch verbracht. Gutes Essen und guter Wein, das macht schon mehr Spaß mit Anderen. Das Hotel hatte mir angeboten mit anderen alleine reisenden Damen zu essen, aber das habe ich abgelehnt. Das wäre dann schon sehr „Lonely Hearts Club-Katzentisch“ gewesen und so fühle ich mich ja nicht.
Ich hatte das Gefühl, dass das Servicepersonal schon besonders freundlich zu mir war. „Da schauen Sie auf ihre Handys und neben Ihnen sitzt so eine nette Frau…ganz alleine.“ Das war sicherlich nett gemeint, aber die ebenso netten Herren vom Nebentisch wollten vielleicht gerade mal eben ihren Insta-Feed checken.
Anfangs hatte ich das Gefühl, ich müsste mir vielleicht ein Schild umhängen: „Alleine reisende Frau“, bitte nicht unaufgefordert füttern oder ansprechen.“
Alleine verreisen: Sich wieder spüren und kennenlernen
Ich hatte mir vorgenommen runter zu kommen in der Zeit, das ging erstaunlich gut und schnell und ich konnte tatsächlich oft den Moment einfach so genießen. Auch ohne Hilfe der netten Kellner habe ich gut Anschluss gefunden. Ich konnte mich wieder selbst spüren und erfahren, wie ich so ohne die ganze Entourage bin und funktioniere. Ich habe mich gut mit mir verstanden und bin gern mit mir zusammen, eine schöne Erkenntnis. Natürlich kamen in der Stille auch Gedanken und Momente auf, die unangenehm waren. Diese dann zuzulassen und wieder wegziehen zu sehen, war auch eine gute Erfahrung.
Wenn man sich alleine auf seine Mitmenschen einlässt beim alleine verreisen, können ganz tolle Dinge passieren. An einem Abend fand ich mich bis spät in der Nacht in der Bar, weil der Gast vom Nebentisch sich als begabter Pianist entpuppte und das halbe Hotel und ich ihm lauschten und begeistert mitsangen. Was mich am meisten gefreut hat: Absolut selbstbestimmt, den ganzen Tag das zu tun oder auch sein zu lassen, was man selbst gerade will: So gut hat es noch nicht mal der Teenie bei uns zu Hause! Herrlich, einfach zu entscheiden und keine Rücksicht zu nehmen. „Darauf habe ich keine Lust, Hunger, Pipi, Durst, ach komm, das letzte Stück zum Gipfel schaffst Du auch noch.“ Die übliche Soundspur eines Familienurlaubs war verstummt….und das habe ich, ganz ehrlich, nicht vermisst.
„Die Wanderung ist blöd, auf geht’s zum Kuchen-Buffett. Es regnet, au ja, jetzt gehe ich Schwimmen. “ Keiner hat mir herein geredet.
Ich wusste wirklich nicht mehr, wie sich das anfühlt. Vielleicht zuletzt im Studium.
Was habe ich gelernt?
Wenn ich im Hotel so umschaute beim Essen, sah ich mehrere allein reisende Damen, aber keine Solo-Männer. Offenbar ist das schon großes ein Bedürfnis von uns Frauen. Ich muss sagen, dass ich das von jetzt an regelmässig machen will, wenn ich es einrichten kann. Drei Tage sind nicht viel und dann doch wieder so irre viel Zeit, die ich geschenkt bekommen habe.
Gerade als Mutter (auch von kleineren Kindern) finde ich es super wichtig, mit sich selbst alleine zu sein. Bin ich noch ich und wenn nein, was ist zu tun? Welche Gedanken und Gefühle kommen hoch, wenn es keine Ablenkung gibt? Solche Fragen sollte man sich immer mal wieder stellen und das geht gut, wenn kein anderer dabei ist.
Eins habe ich auch gelernt. Ich will in Zukunft gerne auf vielen sinnlosen Konsum verzichten, um mir so etwas auch in Zukunft leisten zu können. Schöne Hotels machen mich extrem glücklich und zwar von null auf hundert. Da muss nur einer sagen: „Herzlich willkommen bei unserem Aufguss mit Klangschalen- Mediation, danach habe ich noch ein Meersalz-Peeling für Sie“ und ich möchte begeistert in die Hände klatschen und auf und ab hüpfen. Und so ist das auch noch lange nach dem Schwitzen.
Auf der anderen Seite waren drei Tage aber auch genug. Es ist ein Privileg und ich habe sehr viel Glück, vom alleine sein zurück kommen zu können zu meiner Familie. Soviel Knutscherei mussten sie schon lange nicht mehr über sich ergehen lassen, wie nach meiner Rückkehr. Ich glaube, sie waren auch ganz glücklich, dass ich wieder da war. Obwohl sie auch gut ohne mich zurecht kommen, nur mit dem Vater.
Seid Ihr schon mal alleine verreist?
1 Kommentar
Wie toll. dass Du diese Idee hast, sie dann umgesetzt hast und es Dir so viel gebracht hat! Vielen Dank für Deinen Bericht! Ich bin nur mit 19 einmal alleine verreist (eine Woche Seattle, von Ohio aus), jetzt immer mit Familie. Ich kann Deine Gefühle bei der Alleine-Reise total verstehen!