Der Geburtsvorbereitungskurs, die Kliniktasche, Tipps fürs Stillen. Das Alles liegt schon 15 Jahe zurück bei mir. Manche Dinge vergisst man aber nicht. So auch dieses seltsame Gefühl im Kreis mit anderen Paaren in einem gelb gestrichenen Zimmer zu sitzen und über die anstehende Geburt unseres Kindes zu sprechen. Viele Ratgeber-Angebote rund um das Thema Geburt haben wenig mit der Realität zu tun, finde ich. Wie gut, dass meine talentierten Kolleginnen Lisa und Katharina von StadtLandMama nun mit ihrem dritten Wow Mom-Buch da Abhilfe schaffen. „Der Mutmacher für Deine Schwangerschaft“ ist ein wirklich sehr gelungenes und vor allem ehrliches Buch für diese wichtigen neun Monate im Leben einer Frau. Das besonders schön gestaltete Buch ist außerdem ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für Eure schwangere Freundin! Hier könnt Ihr das Kapitel zum Geburtsvorbereitungskurs lesen:
„Das Steißbein ist weg.“ Unsere Hebamme, die sonst nichts als Ruhe ausstrahlt, wirkt tatsächlich gehetzt, fast aufbrausend. Alle schauen unter ihre Gymnastikmatten, aber es ist nirgends zu finden. „Schauen wir uns das weibliche Becken also ohne Steißbein an“, sagt sie resignierend. Das Becken ist aus Kunststoff und jetzt muss die arme Babypuppe ran. Sie wird fast brutal durch das Becken-Skelett gedrückt. Insgeheim frage ich mich, wie oft diese arme Babypuppe wohl schon für nichtsahnende Bald-Eltern geboren werden musste.
Willkommen in meinem ersten Geburtsvorbereitungskurs, wir haben einen für Paare gewählt. An sechs Abenden sollen wir nun alles darüber erfahren, wie das Baby, das wir da gemeinsam in den Bauch reingekriegt haben, wieder herausbekommen. Willkommen auch im Reich des Hokuspokus, in dem es nicht nur um Globuli und Hypnobirthing ohne Schmerzen geht, sondern auch um Lamaze und Moxibustion. Ja, davon hatte ich auch noch nie zuvor gehört! Da sollen uns ernsthaft brennende Stäbchen zwischen die Zehen gesteckt werden! Krass!
Der Geburtsvorbereitungskurs: Wo bin ich hier reingeraten?
Bei unserem ersten Termin klingelt dann leider mein Handy, wir sind vier Minuten zu spät und haben die Schuhe noch an. Was für ein Auftakt! Nun, also sorry, hehe, Flugmodus und Socken. Acht Augenpaare mustern uns skeptisch, als wir den Raum schließlich auf leisen Sohlen betreten. Wir setzen uns auf den letzten freien Platz in der Hufeisen-Sitzordnung, direkt gegenüber der Kursleiterin. Zwischen all den bunten Gymnastikmatten hat sie Apfelstückchen, Wasser und Tee drapiert. Der Raum ist in warmen Orange-Tönen gestrichen, an den Wänden hängen Plakate mit stillenden Frauen aus der ganzen Welt. Die Luft ist stickig und riecht latent nach Räucherstab.
Die zierliche Hebamme spricht ganz langsam und sanft. Sie hat etwas Elfenartiges mit ihren langen hellen Haaren über der Schulter und der kaum hörbaren Stimme. „Alle aufstehen“, flüstert sie. Nur das Knirschen der Gymnastikmatten ist zu hören. Dann wieder die Elfenstimme: „Schließt die Augen.“ Dazu sollen wir die Arme ausbreiten „wie ein Vogel“. So sagt es die Hebamme und liest eine Geschichte vor. Bei jedem Wort werden unsere Arme schwerer. Noch ein Wort. Und noch eins. Nach zehn Minuten hat schließlich auch die letzte Person im Raum aufgegeben. Unsere Arme hängen schlapp herunter.
„Und? Wie fühlt ihr euch jetzt?“, fragt die Elfe. Der werdende Vater vorne links sagt, ihm schmerzen die Arme. Schließlich gibt mein Freund seine Eindrücke zum Besten: „Meine schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden.“ Das hat er jetzt nicht wirklich gesagt, oder?! Au weia. Ich schalte auf Durchzug, um mich der Scham nicht zu ergeben und betrachte den Raum. Das Licht ist gedimmt. Aus der Teekanne dampft es und da sitzen fünf Dickbäuchige von denen ich eine bin. Eine Schicksalsgemeinschaft sozusagen.
Grenzen überschreiten
Die Übung mit den Armen, das erfahre ich später, sollte uns Grenzen aufzeigen. Sie sollte uns vorführen, dass wir auch dann noch Kraft aufwenden können, wenn wir längst denken, dass nichts mehr geht. Ich fühle mich gut, denke, toll, wenn eine Geburt mit Arme-Hochhalten zu vergleichen ist, dann schaffe ich das doch mit links.
Dass es nicht ganz so einfach ist, erfahre ich in der nächsten Lektion. Nachdem wir uns in einer kurzen Runde einander vorgestellt haben (Name, Alter, errechneter Geburtstermin) kramt die Hebamme einen Holzkasten hervor. „Das ist unsere Gebärmutter“, sagt sie und zieht einen Wollknäuel heraus. Er ist selbst gehäkelt, der Knäuel. Zweifarbig, um Venen von Arterien zu unterscheiden. Das v-vörmige Konstrukt lässt sich am unteren Ende mit einer Schleife zubinden. „Die Schleife soll den Muttermund symbolisieren“. In die Öffnung der Stoff-Gebärmutter schiebt die Hebamme eine Babypuppe. Sie stopft sie kopfüber hinein, bis nur noch ihre Füße zu sehen sind. „So“, sagt sie, „nun ist das Kind ins Becken gerutscht und muss ausharren, bis sich der Muttermund geöffnet hat.“
Bei einer weiteren Übung liegen wir Frauen bäuchlings auf einem Gymnastikball. Die Männer sollen mit Tennisbällen den schmerzenden Rücken massieren. Ich entspanne mich und spitze meine Ohren. Da höre ich folgendes beim Nachbarpaar. Sie: „Mensch, jetzt drück nicht so fest, Hase“. Darauf er: „Mann, ich hab dir schon tausendmal gesagt, Du sollst mich nicht Hase nennen in der Öffentlichkeit.“ Ich drücke meine Nase fest in den nach Gummi riechenden Gymnastikball, damit keiner mein Grinsen sieht. Das vergeht mir auch schnell wieder, als wir über ernstere Themen zu sprechen beginnen: Unnatürliche Geburten.
Angstschauer und Verdrängung
Wir reden über Saugglocken, Geburtszangen und Kaiserschnitte. Die Kursleiterin erklärt uns den so genannten „sanften Kaiserschnitt“, bei dem die Bauchdecke der Mutter nicht aufgeschnitten, sondern gerissen wird. Ich gebe zu, mir läuft ein Angstschauer über den Rücken. Ich fühle mich schlecht und beschließe eine Verdrängungstaktik. Mir wird das nicht passieren! Das verspreche ich mir selbst, als ich gerade dabei bin, in die Geburtsbadewanne zu steigen. Zum Probeliegen.
Es ist nicht gerade gemütlich so ganz ohne Wasser, aber dennoch: es geht hierbei um natürliche Geburten und darum bin ich ganz Ohr. Die Hebamme teilt Arbeitsblätter aus. Zu sehen sind ein Mann und eine Frau, die immer in anderen Stellungen abgebildet sind. Mal hockt sie vor ihm, mal hängt sie in seinen Armen. Die Hebamme spricht von Austreibungsphase und Presswehen während wir Kursteilnehmer fleißig all die Übungen nachmachen. Wirklich lustig, was einem bei so einer Geburt alles zugemutet wird.
Später schreibt mein Partner in einer E-Mail an kinderlose Freunde: „Servus, liebe xx, seit gestern Abend weiß ich, wo das Becken der Frau sitzt, dass eine Geburt weh tut und dass man den Mutterkuchen essen kann, wenn man nur will.“ In einigen Geburtseinrichtungen kann man tatsächlich seine Plazenta mitnehmen, erfahren wir, wenn man einen Transportbehälter („zum Beispiel einen Putzeimer“) mitbringt. Angeblich kann man sie nicht nur essen, sondern auch einpflanzen. „Was meint ihr, warum früher die Tomaten der Hebammen immer die fruchtigsten waren?“ fragt unsere Kursleiterin einmal. Und das schreckt eine der Teilnehmerinnen nicht ab, das Thema Ernährung beizubehalten.
Gespräche wie im Kuhstall
„Gebt ihr denn auch schon alle Milch?“ Ich enthalte mich der Diskussion, indem ich so tue, als strampele mein Baby besorgniserregend viel. Ich merke, dass mein Baby extreme Beulen in meine Bauchinnenwand tritt. Das ist immer so, wenn ich in diesem Kursraum sitze. Ob es meine Angst spürt, die ich vor diesen unangenehmen Gesprächen á la Wir-kennen-uns-zwar-nicht-erzählen-uns-aber-trotzdem-intimste-Details? Vom Tomatenbeet zur Muttermilch. Ich kann mich nicht erinnern, mich je zuvor so fehl am Platz gefühlt zu haben. Und doch treibt es mich jede Woche wieder in den Kurs.
Immer in der Hoffnung, doch noch etwas Wichtiges, etwas Definitives über die bevorstehende Geburt zu erfahren. Das ist wie eine Sucht. Vergleichbar mit der Gier nach Erdnussflips: man greift in die Tüte und nimmt immer mehr. Permanent in der Hoffnung doch ein noch leckereres Exemplar zu erwischen, als das, was einem gerade auf der Zunge zergeht. Ich greife also immer wieder zu und fehle tatsächlich an keiner der insgesamt sechs anderthalbstündigen Sitzungen. Mein Freund hingegen schwänzt zweimal, weil Fußball kommt. Er mag ohnehin keine Flips.
Baby, komm raus!
Schließlich ist der Tag unserer letzten Sitzung gekommen. Ich bin ein bisschen nervös, schließlich ist das die letzte Chance alle offenen Fragen loszuwerden. Ich merke, auch die anderen sind angespannt. Das liegt aber wohl eher an der Ungeduld. Alle bestätigen mir, dass sie jetzt genug haben vom Schwangersein und endlich ihre Kinder wollen. „Wie zum Teufel kann ich denn die Geburt beschleunigen?“, fragt eine die Hebamme verzweifelt. Und die rückt endlich Fakten raus. Dinge, die angeblich Wehen-fördernd wirken:
Himbeerblättertee trinken, Zimt essen oder Ingwer, Akupunktur, warmes Bad, Eisenwurz, Massagen, Spaziergänge und… Sex haben. Es wird still im Raum. Ich stelle mir die Situation als Comicstrip vor. Über den Frauen eine Sprechblase mit Fragezeichen. Über den Männern eine Gedankenblase: „Um Gottes willen. Sex? Niemals. Da ist doch mein Kind drin!“ Und während die Männer ängstlich durch den Raum schauen, strahlt ihnen eine durchaus glückliche Hebamme entgegen: „Das Steißbein ist wieder da!“
Foto: Juliane Dunkel
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Herrlich!