Erfahrungen

„Die Kinder werden einmal fragen, ob man alles versucht hat.“ Interview mit Nicole zum Thema Stiefeltern

26. Juni 2014

Stiefeltern frau mutter blog 1

Familie kann und darf unterschiedlich sein. Patchwork, Adoption, Regenbogen: Wir leben zum Glück in einer offenen und modernen Gesellschaft, wo „Familie da ist, wo Kinder sind“. Meistens jedenfalls. Heute spreche ich mit meiner Blogger-Kollegin Nicole von „Schlaflose Muttis“ über das Thema Stiefeltern und Stiefkinder. Das sind eher negativ besetzte Begriffe, man denke nur an „die bösen Stiefmütter“ in Grimms Märchen. Ist diese Familienkonstellation eine Garantie für Konflikte oder geht es bei Stiefeltern und Stiefkindern wie in jeder anderen Familie zu? Wie hält man den Kontakt zu den leiblichen Eltern und was ist das überhaupt, ein „richtiger Vater, eine richtige Mutter“, hat das immer mit den Genen zu tun? Ich hatte viele Fragen an Nicole, die mir sehr offen und ehrlich geantwortet hat. Vielen Dank dafür!

Du bist selbst mit einem Stiefvater aufgewachsen. War das immer Dein „richtiger Vater“ für Dich? Oder hattest Du sozusagen zwei Väter? Wie war Eure Beziehung früher und heute?

Ja, mein Vater war immer mein richtiger Vater. Wie bei vielen anderen Familien auch, gab es in der Jugend Konflikte und natürlich da habe ich auch zeitweise in „offener Rebellion“ gelebt. Damals habe ich mir schon hin und wieder gewünscht, dass mein leiblicher Vater auf einem weißen Pferd angeritten kommt und alles gut wird. Ich hatte immer diese Vorstellung, dass mein leiblicher Vater mir alles erlauben würde und mit ihm sowieso alles besser wäre. Das war natürlich totaler Quatsch.

Als ich ihn mit 23 Jahren gesucht und gefunden habe, war das Ergebnis für mich eher enttäuschend. Er wollte dann, dass ich mich immer melde und er nun alles über mein Leben weiß. Das Ganze hat mich total erdrückt, sodass es dann natürlich zu einem großen Konflikt kam. Mein „Stief“vater hat mir den Kontakt nie verboten oder mir davon abgeraten. Er hat mich mein ganzes Leben lang immer unterstützt und zu mir gehalten. Dafür bin ich ihm heute unendlich dankbar. Ich liebe ihn und er wird immer mein richtiger Vater sein. Biologie hin oder her. Ich bin froh, dass wir heute eine sehr gute Beziehung zueinander haben.

Kannst Du Dich erinnern wie es war, als Du erfahren hast, das er nicht Dein biologischer Vater ist?

Es gab keinen direkten Zeitpunkt. Ich bin damit aufgewachsen. Dadurch, dass ich das einzige Familienmitglied mit einer anderen Hautfarbe bin, hätte sich das auch gar nicht verbergen lassen.

Nun hast Du selbst eine Tochter in die Ehe mit Deinem jetzigen Mann mitgebracht, zunächst wart Ihr zu dritt. Was war wichtig im Aufbau der Stiefvater-Tochter-Beziehung?

Es war wichtig, dass die Beziehung in Ruhe wachsen konnte. Es war für uns alle eine neue Situation und wie man eine „gute“ Stieffamilie wird, findet man leider in keinem Ratgeber. Es war eine Herausforderung für meinen heutigen Mann nicht nur eine Frau zu bekommen, sondern noch eine Tochter dazu. Meine Tochter war zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt und wusste sehr genau wer eigentlich ihr Papa war. Wir haben uns einfach Zeit gelassen und meine Tochter hat meinen heutigen Ehemann auch erst nach Monaten oder sogar erst nach einem Jahr Papa genannt. Man kann sein Kind nicht überrumpeln und sofort sagen. „Hier das ist dein neuer Papa.“ Das wäre einfach zu viel gewesen. Liebe und Beziehung brauchen Zeit zum wachsen. Wir mussten uns alle erst einmal richtig kennenlernen und in die neue Situation hineinwachsen.

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Als dann das gemeinsame Kind zur Welt kam, was hat sich geändert? War Deine ältere Tochter verunsichert?

Die erste Zeit war sicherlich schwierig. Eine befreundete Pädagogin sagte, dass sie keine Probleme als Stiefschwester hat, sondern vielmehr, dass sie sich vom Thron gestoßen gefühlt hat. Jeder der mehrere Kinder hat, weiß dass es für das große Kind eine Herausforderung ist, nun nicht mehr das umsorgte Einzelkind zu sein. Wir haben einfach darauf geachtet, dass wir sie ganz bewusst integrieren und ihr das Gefühl geben, ein ganz wichtiges und unverzichtbares Familienmitglied zu sein. Während ich meine kleine Tochter versorgte, unternahm mein Mann vieles mit unserer großen Tochter allein. So hatte sie immer das Gefühl ernst- und angenommen zu sein.

Der Kontakt zum leiblichen Vater ist abgebrochen. Was ist Dein Tipp: Wie kann man es schaffen, eine gute Beziehung zu Stiefvater und leiblichem Vater zu pflegen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, es gibt kein Patentrezept. Man trennt sich ja nicht ohne Grund vom Partner und es ist leider oftmals so, dass Verbitterung und Verletzung eine Rolle spielen. Ich habe damals versucht, das außen vor zu lassen und habe den Kontakt zum Kindsvater gesucht. Mal hat er sich dann ein wenig gekümmert und unsere Tochter besucht, dann wieder nicht. Leidtragende war traurigerweise meine Tochter, die oft vergeblich auf ihren Vater gewartet hat, der sie wieder einmal versetzte. Das tat mir als Mutter in der Seele weh und deshalb habe ich das Jugendamt später zusätzlich eingeschaltet, um einen geregelten Umgang zu erwirken. Auch das schlug leider fehl.

Ich glaube heute rückblickend, dass es grundlegende Probleme in unserer Kommunikation gab und letztendlich deshalb der Kontakt abgerissen ist. Ich kann nur jeder Mutter empfehlen, immer das Wohl des Kindes im Auge zu haben, aber dennoch lieber einmal mehr, als zu wenig auf den Vater zuzugehen. Denn die Kinder werden einmal fragen, ob man alles versucht hat. Wie gut ist es doch dann, wenn man sich als Mutter nichts vorzuwerfen hat. Ob der Vater die ausgestreckte Hand annimmt, bleibt ihm überlassen.

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Wie geht es eigentlich Deinem Mann in der ganzen Geschichte? Habt Ihr viel über die Situation gesprochen?

Oh ja, wir haben damit ganze Nächte gefüllt. Ich wollte einfach, dass es uns allen gut geht. Ich wollte, dass wir alle gewinnen und das haben wir letztendlich auch. Für meinen Mann war es schwierig, Vater meiner damals dreijährigen Tochter zu sein. Er kannte sie ja als Baby nicht, sah sie nicht heranwachsen und gerade diese grundlegende Erfahrung kann man nicht nachholen. Ich merke heute, wie sehr er die ersten Monate mit unserer kleinen Tochter genießt. Er liebt unsere große Tochter und versucht ihr ein guter Vater zu sein. Er nimmt sie in den Arm, tröstet sie, ermutigt sie, aber natürlich erzieht er sie auch mit. Mal ganz abgesehen vom biologischem Faktor würde ich die Beziehung als eine ganz normale und gesunde Vater-Tochter-Beziehung bezeichnen. Na, klar haben wir daran gearbeitet und es gab und gibt auch immer mal Konflikte.

Gerade was Erziehung angeht, haben wir manchmal sehr unterschiedliche Ansichten, aber ich glaube, dass dies kein Problem von Stieffamilien ist, sondern ein ganz normaler Umstand. Wir haben gelernt sensibel miteinander umzugehen und die Gedanken und Gefühle des anderen wahr- und ernstzunehmen. Gerade wenn meine Tochter ihren leiblichen Vater vermisst, ist es für meinen Partner etwas schwierig. Er ist dann außen vor und ich spreche mit meiner Tochter über dieses Thema. Sie darf ihren leiblichen Vater vermissen. Dies würden wir ihr nie absprechen oder ignorieren. Unser Familienleben heute war ein harter Kampf und hat viel Kraft gekostet, aber es hat sich so sehr gelohnt in unser „Familienprojekt“ zu investieren.

Vielen Dank, Nicole, für das Gespräch!

Wer mehr über Nicole und ihre Familie erfahren möchte, sollte unbedingt auf ihrem Blog Schlaflose Muttis vorbeischauen.

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4 Kommentare

  • Reply Gottfried Rath von Personalisierte Kinderbücher 26. Juni 2014 at 9:35 am

    Dieses Interview erinnert mich an meine Situation, den ich bin auch Vater eines nicht biologischen Kindes von mir. Aus meiner Sicht war dieses nie ein Thema für mich, obwohl mein zweiter Sohn mein biologisches Kind ist. Auch ich denke mir, dass die Absicht aller Beteiligten die „Lösung“ bringt, die in der jeweiligen Situation möglich ist. Und die ist sicher so unterschiedlich wie es Personen auf diesen Planeten gibt! Liebe Grüße – Gottfried Rath

  • Reply Alice 26. Juni 2014 at 7:30 pm

    Eine wunderbar wahre Geschichte, mit Happy End! Ich liebe das 🙂
    Ich finde deine Geschichte zeigt das es sich IMMER, IMMER lohnt für das Glück seiner Familie zu kämpfen…Oder wie ein bekannter, deutscher Moderator es sagen würde: „Nur die Liebe zählt…“ 😉 Schöne Grüße

  • Reply Alice 26. Juni 2014 at 7:31 pm

    Eine wunderbar wahre Geschichte, mit Happy End! Ich liebe das 🙂
    Ich finde deine Geschichte zeigt das es sich IMMER, IMMER lohnt für das Glück seiner Familie zu kämpfen… Schöne Grüße

  • Reply herzmutter 26. Juni 2014 at 10:26 pm

    Sehr spannende Fragen und ein ganz großes Kompliment an Nicole – danke für deine Offenheit! Du scheinst ein ganz besonderer Mensch zu sein und ich finde es auch bewundernswert wie du die Situation in deiner eigenen Familie gemeistert hast!

    Liebe Grüße, Janina

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