Ich habe in letzter Zeit ein neues Phänomen auf Berlins Strassen entdeckt: Aggro-Mütter in SUVs. Und die brausen nicht etwa durch Berlin-Mitte, wo alle genervt sind und Dauergehupe herrscht. Nein, bei mir im beschaulichen Berlin-Zehlendorf ist neuerdings der „Krieg auf der Landstrasse“ ausgebrochen. Die Zehlendorferinnen müssten doch komplett tiefenentspannt sein. Das denkmalgeschützte Haus saniert, die Kinder im Cello-Unterricht, der Cayenne summt so schön und jetzt wird um den Schlachtensee „genordicwalked“.
Von wegen! Morgens zwischen acht und neun Uhr und nachmittags zur Hort-und Kita-Abholzeit bricht Krieg aus!
Avus in der 30er-Zone
In Berlin-Zehlendorf muss vieles mit dem Auto erledigt werden. Die gestresste Mutter hat ihre riesige To-Do-Liste auch nachmittags noch nicht zügig genug abgearbeitet und rauscht gerne zügig durch die Kopfsteinpflaster-Strassen. Die Argentinische Allee wird dann zu einer sehr beliebten Rennstrecke! Es muss ja nicht gleich die Avus sein.
Unser gebrauchter Volvo V50 hat keine eingebaute Vorfahrt – und eine kaputte Fahrertür. Wenn ich also in Richtgeschwindigkeit, die Autotür zuhaltend über die Argentinische Allee tuckere, gibt es regelmässig Lichthupen-Konzerte von anderen Mamas mit eingebauter Vorfahrt. Geht es nur mir so, dass ich neben dem Fahren auch noch Kaltgetränke nach hinten reichen, verlorene Schnuller suchen und Kinderlieder-DJ sein muss?
Neulich, bei der Kitabholung dauerte das Anschnallen meiner Tochter im Kindersitz offenbar zwei Minuten zu lange. Ich hatte völlig ineffizient noch einen Schlumpf unter dem Fahrersitz gesucht. Plötzlich wildes Gehupe. Eine Frau in einem geländegängigen Fabrikat aus München reißt die Arme in die Luft, fasst sich an die Stirn und schreit unhörbar Unflätiges. Als schließlich mein Kind im Sitz ist und die Dame vorbeifährt, sehe ich zwei Kindersitze auf ihrem Rücksitz. Zu spät! Alles was ich getan habe: Augen zum Himmel und Kopf geschüttelt. Noch nicht mal den Mittelfinger habe ich betätigt! Da wäre doch so ein schöner Streit geworden!
Aggressivität lässt sich auch erlernen: auf Berlins Strassen
Ich glaube, ich muss mal wieder öfters auf die Avus oder auf den Berliner Ring, um das Autofahren à la Berlin neu zu lernen. Mein sozialer Status wird sich demnächst nicht verbessern, ein Autokauf ist nicht geplant. Aber beim nächsten Mal, wenn mir dann eine Mutter zu langsam fährt, kurbele ich das Fenster runter und schreie wahlweise:
„Platz da, Aldi hat gerade wieder Trampoline!“
„DU schnappst mir den Parkplatz weg, dann hetze ICH Dir den Denkmalschutz auf den Hals!“
„Fahr schneller, Alte, meine Villa ist gerade allein zu Haus!“
P.S.: Ich bekenne, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche als einen nachtblauen SUV aus Göteborg. Mit eingebauter Vorfahrt.
Dieser Artikel erschien im Zehlendorf Blog von DER TAGESSPIEGEL
Foto: © lichtkunst73/Pixelio.de
4 Kommentare
Göttlich…absolut treffend geschrieben…in Zehlendorf kenn ich mich zwar nicht aus, aber man kann glaub ich wahlweise alle schicken Vorstadtort hier einsetzen. Und irgendwie sind immer die Zeitpläne der Anderen so unglaublich wichtig…
Vielen Dank, ja ich glaube das ist fast ein städteübergreifendes Phänomen!
LOL, das ist ja mal lustig geschrieben – ein Krieg auf der Landstraße 😉 Du bist „gebookmarkt“, hier macht lesen Spaß!
Tatsächlich… wir wohnen hier in einer Seiten-Spielstraße innerhalb einer 30er Zone mit vielen Kindern bzw Familien… wer aber denkt, dass vor allem Mütter das „Familien-Schlachtschiff“ langsam und gesittet durch diese Straßen fährt, der irrt. Spielstraße (hier spielen Kinder von 2-12 Jahren) eigentlich Schritttempo, Tempo 30 ist aber an der Tagesordung! Rücksicht ein Fremdwort. In der 30-Zone ist man mit knapp unter 40km/h ein Verkehrshindernis…
Früher galt nur bei grösseren Mercedes und BMW die eingebaute Vorfahrt, mittlerweile ist es aber die Größe eines Fahrzeuges die entscheidet… unglaublich