Meine kinderlose Kolumnistin Frau Vanderwitz ist begeisterte Tante. Heute berichtet sie davon, wie sie das erste Mal ihre einjährige Nichte gebabysittet hat bzw. ihr durch die Stadt nachgelaufen ist, während die Eltern genüsslich einen Eisbecher verspeisten.
Nach einer Stunde ist sie recht fertig mit den Nerven, nimmt es am Ende aber doch sportlich. Viel Spaß bei diesem witzigen Text!
Mission: Die einjährige Nichte babysitten
Am Anfang war es ja noch einfach mit der Nichte. Hochnehmen, runtersetzen, auf jedes Gah-gah und Kräh-kräh mit selbigem antworten und hoffen, dass das Kind dann trotzdem irgendwann noch richtig sprechen lernt. Immerhin ist die Tante Autorin und muss dann später bestimmt bei den Deutsch-Hausaufgaben helfen. Da wäre es doch sinnvoll, gleich die frühkindliche Förderung anzugehen und vernünftiges Deutsch zu sprechen? Der fragende Blick zu meiner Schwägerin wird mit einer gehobenen Augenbraue quittiert. Denn natürlich hatte ich völlig vergessen, dass das Kind ja zweisprachig aufwächst und jetzt schon mehr Arabisch (und seien wir ehrlich: vermutlich auch mehr Deutsch) versteht als ich.
Und obwohl mein kleiner Bruder nach über 30 Jahren Erfahrung mit mir es eigentlich besser wissen müsste, bekomme ich dann doch tatsächlich den Auftrag, auf meine Nichte aufzupassen. Das erste Mal. Da ist sie eineinhalb, ein quieksendes, fröhliches Wesen (sie kommt dann doch nach der Tante), das am liebsten schreiend vor Freude auf Familienmitglieder und fremde Leute zu läuft. Ja, und auch auf andere Kinder, Tauben – und große Hunde.
„Die Tante hat keine Ahnung von Kindern“
„Du machst das schon, Schwesterherz“, sagt mein Bruder, setzt sich mit seiner Frau an den Tisch vor dem Eiscafé und schlägt die Karte auf. Meine Nichte läuft schon mal los. Sie hat so kleine Beine, denke ich, da komme ich bestimmt gut mit.
Falsch gedacht. Denn lange Beine zu haben ist das eine. Ausdauer das andere. Meiner Nichte ist sowas natürlich wurscht. Vermutlich fragt sie sich, wer die dicke Frau ist, die ihr die ganze Zeit keuchend hinterher stapft. Aber sie läuft ganz unbekümmert erst einer Taube hinterher, dann der nächsten. Die Taube läuft vor ihr weg, irgendwann fliegt sie los.
„Daaaaaaaaaaaaa!“, ruft meine Nichte, und eloquent, wie ich bin, rufe ich auch „daaaaaaaaaaaaaaa“ und zeige in den Himmel. Aber sie folgt mit dem Blick nicht meinem ausgestreckten Arm, sondern hat einen Buggy entdeckt. Mit einigen Wackelschrittchen ist sie vor Ort und mit den Händen fast schon in der Eistüte eines anderen Kindes. Zum Glück ist die Mutter schneller und schiebt ihre Hand dazwischen. Peinlich. Schwer atmend entschuldige ich mich. Als ich ihr erkläre, ich sei die Tante und habe keine Ahnung von Kindern, nickt sie zustimmend.
Fitnessprogramm Nichte
Meine Nichte hat die Zeit genutzt, sich weiter umzuschauen und einen großen Hund zu entdecken. Diesmal bin ich schneller und ziehe ihre Arme von dem Tier weg. „Nein, nicht den Hund anfassen“, sage ich. Und fühle mich ja sowas von erziehungsberechtigt. Das war eine klare Aussage. Ganz konsequent. Das wird noch was mit mir und meiner Nichte, denke ich so bei mir. Falsch gedacht.
Sie sieht mich stirnrunzelnd an. Eine Zornesfalte gräbt sich zwischen ihre Augenbrauen. Sie holt tief Luft.
„Maaaaaamaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!“, schreit sie, dass sich ihre Löckchen auf dem Kopf aufzustellen scheinen.
Ich denke, dass Mama eine supergute Idee ist, schnappe mir das Kind und trage sie zu meiner Schwägerin und meinem Bruder zurück, die diese Szene vom Tisch im Eiscafé aus beobachtet haben. Während sie sich einen Eisbecher reingeschaufelt haben, den ich jetzt auch gut vertragen könnte.
Meine Schwägerin nimmt die Kleine in Empfang, die dann auch sofort aufhört zu schreien, und sagt nur ganz lässig: „Du kannst ruhig mal für längere Zeit zum Babysitten kommen. Das wäre doch eine super Gelegenheit für dich: Wenn du jeden Tag so viel rennst, bist du in sechs Wochen schlank.“
In “Frau Vanderwitz wundert sich” schreibt Saskia aus der Perspektive einer kinderlosen Frau. Als Katzenmama und begeisterte Tante nimmt sie die Welt der Familien witzig-ironisch unter die Lupe. Saskia schrieb bereits für mehrere Kabarettgruppen, ist poetry slammerin und Autorin. Mit Frau Mutter verbindet sie eine glorreiche studentische Vergangenheit im Fachbereich “irgendwas mit Medien”.
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