Familie

Interview mit Katia Saalfrank: „Gewalt ist Gewalt. Ein bisschen Gewalt gibt es nicht.“

22. Juli 2014

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Heute geht es um ein ernstes Thema hier auf dem Blog: Gewalt gegen Kinder. Letze Woche hatte ich das Vergnügen, auf einer Veranstaltung der Bepanthen Kinderförderung, Katia Saalfrank zu interviewen. Ich glaube, ich muss sie gar nicht erst vorstellen, denn Ihr kennt sicherlich alle noch die Sendung „Die Super Nanny“ auf RTL. Mit Frau Saalfrank sprach ich über die Gewaltspirale in Familien, alltägliche Stress-Situationen von Eltern und Kindern und wie man sie vermeiden kann und über den „kleinen Klaps auf den Po“. Katia Saalfrank hatte sehr interessante Sachen zu sagen:

Frau Saalfrank, wo fängt Gewalt eigentlich an, ist Gewalt immer nur ein physischer Übergriff?

Gewalt ist die machtvolle Grenzüberschreitung von persönlichen psychischen oder auch physischen Grenzen eines anderen Menschen. Zu einem gewaltvollen Umgang gehört in jedem Fall der Klaps auf den Po. Ich habe oft Menschen erlebt, die sagen: “Ich haue mein Kind nicht wirklich, es gibt dann mal einen Klaps auf die Hände oder den Po. Ins Gesicht würde ich aber nie schlagen.” Diese Unterscheidung macht eine Haltung deutlich. Als ob es ein bisschen Gewalt gäbe. Gewalt ist Gewalt. Es gibt auch nicht ein bisschen schwanger. Das hat mit Haltung zu tun und mit der Wertschätzung und der Einhaltung der Grenzen des Anderen.

In Ihrer Sendung “Die Super Nanny”, halfen Sie Eltern in eskalierenden Situationen im Familienalltag und griffen auch oft ein, wenn es zu Gewalt kam. In solchen Situationen ist ja immer etwas vorher passiert. Kinder haben Grenzen überschritten. Wie kann man als Eltern solchen eskalierenden Situationen vorbeugen, die ja jeder von uns kennt? Was kann man praktisch tun?

Das ist zum Glück nicht oft passiert. Aber: Gewalt passiert übrigens nicht nur in Familien, die sozial benachteiligt sind. Gewalt ist etwas, was sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche zieht. Zu Ihrer Frage: Zu einer Eskalation kommt es häufig, wenn wenig Geduld und Kraft da ist, das sind dann meist Überforderungssituationen von Eltern. Wenn wir dann in dieser Überforderung mit Gewalt reagieren, z.B. eine Ohrfeige geben, dann ist das ein Impuls, der in uns programmiert wurde, wenn wir Gewalt selbst erfahren haben.

Trotzdem gibt es ja in uns allen die Fähigkeit zur Liebe und den Wunsch, es besser machen zu wollen. Wenn Eltern in ihrer Kindheit selbst Gewalt erfahren haben, dann sind das stark emotionale Erfahrungen. Diese werden im Körper und der Seele abgespeichert, miteinander gekoppelt und führen so im Gehirn zu bestimmten Vernetzungen, die die Betroffenen im Erwachsenenalter dann die erlebte Gewalt weitergeben lassen werden. Diese Mechanismen sind oft subtil und müssen sich nicht immer im sichtbaren Ausagieren von Gewalt manifestieren. Manchmal verdrängen Betroffene die erlittenen Demütigungen und Kränkungen sogar und glauben sich an eine gute Kindheit zu erinnern. Dennoch bringen genau diese verdrängten Erfahrungen die Menschen dann später dazu, eben jene Gewalt, die sie selbst erfahren haben, als Erziehungsmittel einzusetzen.

Es handelt sich hierbei jedoch nicht um einen starren Automatismus, sondern um ein erkennbares Muster. Wir sind unseren Erfahrungen nicht hilflos ausgeliefert. Kommt ein innerer Prozess der Selbsterkenntnis in Gang, haben wir die Chance, diese erlebten Muster zu unterbrechen. Deshalb: Gewalt ist etwas, was wir nur bewusst unterbrechen können. In der Beratung ist das ein sensibler Prozess und wir sprechen immer über das Erleben in der Vergangenheit der Eltern. Eltern verstehen dann auf einmal: “Das hat mit mir zu tun und nicht mit dem Kind”. Dies zu verstehen ist ein oftmals längerer Prozess.

Selbst wenn das Kind Grenzen von uns überschritten hat, ist dies kein Grund, Gewalt auszuüben. Im Gegenteil. Die Frage ist doch, wie dürfen Kinder lernen, in die Gesellschaft hinein zu wachsen. Das war früher sehr klar. Das gab es klare Regeln, Massnahmen und auch Strafen, für denjenigen, der sich nicht so verhielt, wie es sein sollte. Heute wollen wir das anders machen, wir legen Wert auf eine emotionale Entwicklung und Beziehung. Wir wissen, welche psychischen Probleme eine Gewalterfahrung nach sich zieht. Wenn das Urvertrauen gestört ist, kann das zu zahlreichen Beeinträchtigungen, ja sogar zu Krankheiten führen. Oftmals leiden Menschen, die ihre Gefühle unterdrücken mussten an Depressionen und Angststörungen. Das Kind verliert dadurch die Beziehung zu sich selbst.

Wenn Eltern die Hand ausgerutscht ist, dann entstehen oft auch Schuldgefühle. Wichtig ist dann, dass Eltern für ihr Handeln auch Verantwortung übernehmen und sagen: „Ich habe das nicht gut gemacht. Es tut mir leid! Du hast keine Schuld!“ Kindern, wird ja oft noch suggeriert, sie seien selbst dran Schuld, wenn wir die Nerven verlieren.

Streit und Eskalation geschehen ja immer in Standardsituationen. Man selbst ist müde, die Kinder nölen, es gibt Streit. In diesen alltäglichen Situationen ist man aber auch gefangen, oder?

Wir haben uns ein Leben und eine Umwelt geschaffen, in die Kinder nicht mehr reinpassen. Das ganze Leben ist darauf ausgerichtet, das beide Elternteile arbeiten und dann auch ihre Freiräume brauchen. Oft ist die Zeit, die wir mit denn Kindern verbringen, minimal. Wer Kinder hat muss sich Zeit nehmen, denn Kinder müssen nicht nur versorgt und beaufsichtigt werden. Kinder brauchen ihre Eltern und mit ihnen gute Beziehungserfahrungen. Viele Erwachsen wünschen sich mehr Zeit, denn wir merken ja auch, dass wir in Stress geraten. Alles muss schnell und effizient gehen, wir lassen Kindern keine Zeit mehr und hetzen selbst mit einer grossen Atemlosigkeit von A nach B im Alltag.

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Wie kann man den Stress im Alltag denn reduzieren?

In dem an sich bewusst wird, wo es schwierig ist. Zum Beispiel sind die Übergänge oft anstrengend für alle. Also vom Fussballtraining nach Hause fahren, vom Abendessen zum Zähneputzen. Hier kann man über die Gestaltung der Übergänge nachdenken. Wie viel Zeit dürfen die Kinder dafür haben, muss man die Kinder vielleicht doch mehr begleiten dabei. Die Chance unserer Elterngeneration von heute ist auch die Chance auf Reflexion und die Entscheidungsfreiheit in dem Sinne, wie wir heute leben wollen? Jeder kann für sich und seine Familie selbst eigene Entscheidungen treffen. Das ist gut so, bedeutet aber dann auch mehr Verantwortung für Eltern.

Wie kann man Kinder, die seelische oder körperliche Gewalt erfahren haben, wieder stärken? Wie kann man das Selbstbild wieder aufrichten?

Wichtig ist, dass wir uns dem Thema annehmen, auch gesellschaftlich. Die Bepanthen-Kinderförderung hat das mit ihrem Parkour-Projekt getan und das möchte ich deshalb auch unterstützen. Wesentlich ist für Kinder, dass ihr eigenes Gefühl gestärkt wird: “Dein Gefühl ist richtig. Das war nicht in Ordnung, da ist jemand schlecht mit mir umgegangen”. Das dauert lange, bis ein Kind, die Loyalität zu den Eltern in Frage stellt, denn Kinder sind die loyalsten Menschen der Welt.

Dann geht es darum, gute Erfahrungen zu vermitteln. Räume zur Autonomie, Selbstwirksamkeit, Eigenständigkeit bereit zu stellen. Und den Kindern Wertschätzung entgegen zu bringen. Kinder, die Gewalt erfahren haben, haben ja massivste Grenzüberschreitungen erlebt und reagieren jetzt oft selbst mit grenzüberschreitendem Verhalten. Wichtig ist, dass wir im Kontakt mit den Kindern dann sehr klar und wertschätzend sind und eben nicht mit Sanktionen reagieren, sondern das Kind ernst nehmen und die Grenzen nicht überschreiten.

Die Bezugspersonen müssen dem Kind also insgesamt vermitteln, das es wertvoll ist. Das braucht viel Zeit und es dauert, bis ein Kind, das Gewalt erfahren hat, versteht “Ich bin ok, so wie ich bin”.

Warum unterstützen Sie das Projekt der Bepanthen Kinderförderung?

Die Bepanthen Kinderförderung hat eine Schirmherrin gesucht, die sich für ihr Projekt einsetzt. Ich mache nicht so viel in diesem Bereich, aber die Sachen, die ich mache, mache ich dann sehr motiviert. Ich finde gut, wenn sich Unternehmen für Werte in der Gesellschaft engagieren und so auch Verantwortung übernehmen. Und beim Archeprojekt ist es besonders wichtig. Es geht hier um Gewalt an Kindern, um Missachtungserfahrungen aber auch ganz allgemein darum, wie wir im Alltag mit Gewalt umgehen. Das ist auch etwas, was mich umtreibt. Wir haben seit dem Jahr 2000 das Gesetz, dass Kinder gewaltfrei aufwachsen sollen und dürfen und wir wissen auch, unter anderem aus der Entwicklungspsychologie, warum es für eine gesunde psychische und physische Gesundheit so wichtig ist, gewaltfrei aufzuwachsen. Trotzdem gibt es so viele Situationen, in denen Kinder Gewalt erfahren, oft hinter geschlossenen Türen und in den Familien. Das hat auch etwas mit einer gesellschaftlichen Haltung zu tun.

Fotos: Milos Djuric

Frau Saalfrank, vielen Dank für das Gespräch!

Die Bepanthen Kinderförderung wurde 2008 gegründet und unterstützt arme Kinder in Deutschland. Leitgedanke der Förderprogramme ist, die Selbstwahrnehmung von sozial schwachen Kindern zu stärken. Das aktuelle Parcours-Projekt der Bepanthen-Kinderförderung richtete sich an Berliner Kinder des Hilfsprojektes „Die Arche.“

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4 Kommentare

  • Reply Cary 31. Juli 2014 at 8:46 pm

    Hallo!
    Was für ein interessantes und gutes Interview. Wir fanden die Sendung mit Frau Saalfrank immer sehenswert und freuen uns, daß sie sich weiter für Kinder einsetzen kann. Danke dafür, Nina!
    Beste Grüße,
    Cary

  • Reply Frau Mutter 1. August 2014 at 7:42 am

    Hallo Cary,

    vielen Dank, es hat mir selbst auch viel Spass gemacht. Gruss Nina

  • Reply Cary 3. September 2014 at 11:09 am

    Hallo Nina!

    Kurz nachdem ich Dir geschrieben hatte, wurde ich auch zur Veranstaltung in Hamburg eingeladen. Schön, daß ich dein Interview vorher gesehen hatte. Würde mich sehr über ein kleines Kommentar von Dir auf meinem Post freuen.
    http://mymischmasch.blogspot.de/2014/09/bepanthen-kinderforderung-gemeinsam.html
    Danke!
    Grüße,
    Cary

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