Der Begriff „Heimat“ist ja schon ein komisches Wort. Irgendwie spießig, altmodisch und auch negativ besetzt durch die Nazizeit. Meine Grosseltern mussten aus Oberschlesien flüchten und hatten wirklich alles verloren, um dann in einem privaten Wirtschaftswunder in den fünfziger Jahren in ihrer neuen Heimat Koblenz alles wieder aufzubauen. Drei Kinder. Keine Babysitter. Erst seitdem ich selbst Kinder habe, wird mir diese grosse Leistung bewusst. Auch, alles hinter sich zu lassen und wo ganz anders wieder anzufangen.
Heute sind wir ja so mobil und leben im Ausland, weil das gut ist für den Job und die Fremdsprachen-kenntnisse der Kinder. Haben wir auch gemacht. Stimmt auch alles. Aber irgendwann will man ja auch ankommen, oder? Eine Freundin, die mit ihrer Familie alle fünf Jahre umziehen muss und jetzt als nächste Station New York vor sich hat, sagte mir mal. „Ach, eigentlich will ich doch nur sesshaft werden und irgendwo Wurzeln schlagen, New York hin oder her.“ Das ist interessant, finde ich. Was macht eigentlich ein Heimatgefühl aus? Eine aufregende Stadt? Eine grosse Wohnung? Ein Wald um die Ecke?
Kürzlich habe ich eine interessante Studie zur sogenannten „Wohnortzufriedenheit“ gelesen. Dabei kam heraus, dass die Deutschen „hohes Ansehen & Sicherheit“ am Allerwichtigsten finden. Darüber hinaus lieben wir es grün: Rund 86 Prozent ziehen eine grüne Lage mit vielen Park- und Grünflächen den szenig-turbulenten Stadtteilen vor. Und: Leipzig punktet auf ganzer Linie – Platz eins im Wohlfühlranking der abgefragten Städte. „Nu gloar“, würden meine sächsischen Freunde sagen…
Das fand ich interessant, muss ich sagen. „Hohes Ansehen und Sicherheit“…..Mhhhhh. Nach unserem Auslandsaufenthalt in Schweden haben wir uns als Familie bewusst Berlin-Zehlendorf als neue Heimat ausgesucht. Vor Schweden lebten wir in Kreuzberg. Noch ohne Kinder. Eine innerstädtische Lage war uns wichtig, Cafés und nette Läden in der Nähe. Nun ist Stockholm eine der schönsten Städte überhaupt, total grün, sicher und all das schöne Wasser! Von Kinderfreundlichkeit muss ich gar nicht anfangen… Das mussten wir nach unserer Rückkehr dann irgendwie replizieren und dann kam eben Zehlendorf raus. Wenn es um Berlin geht, muss Zehlendorf oft als Klischee der Reichenenklave herhalten. Alle fahren Cayenne und streichen ihre Villen gelb. Cayennes und Villen gibt es hier natürlich, aber was nützt es, in einem Stadtteil mit hohem Ansehen zu leben, wenn es doch keine Heimat ist.
Bei uns hat das mit dem Heimatgefühl so gute drei Jahre gedauert. Wir hatten eine schöne Wohnung, unsere Kinder in guten Einrichtungen untergebracht, alles war sicher und grün. Aber ich habe irgendwie keinen Kontakt gefunden zu meinem neuen Bezirk. Und woran lag es? An den Leuten! Ich habe einfach in der ersten Zeit nicht die richtigen Menschen getroffen. Das war zwar nicht so schlimm, denn sonst hätte ich nie mit dem Bloggen angefangen, aber es ist trotzdem traurig wenn man keinen Anschluss findet. Dann hat Sebastian mit der Schule angefangen und wir trafen mit einem Schlag so viele nette Eltern, die hier auch gerade neue Wurzeln schlagen wollen. Die Familie fühlt sich wohl, wir haben ein nettes Umfeld. Alles passt. Mein Leben spielt sich in einem Planquadrat von einem Quadratkilometer ab, aber das ist ok so.
Ich denke, Villen und Bäume sind „nice to have“, aber was zählt sind die Menschen um Dich rum. Home ist eben doch da wo the heart is…
Fotos: Wenn man seine Heimat gefunden hat, muss man altmodische Dinge tun. Wie die Strasse kehren oder Waschfrau anno 1927 spielen.
8 Kommentare
Nach 5 Jahren downtown Amsterdam, war Zehlendorf dann erst doch auch etwas gewöhnungsbedürftig. Aber dann lernte ich – am Anfang vor allem auch über die Kinderspielplatz – so viele nette Leute kennen, dass ich jetzt sogar als Niederländerin laut behaupten möchte, dass ich meine neue Heimat gefunden habe und mich sogar getraut habe hier ein Haus zu kaufen. Ach, und für meine Interieurorientierung in geschmackvollen Läden mit tollen Wohnideen ist die niederländische Grenze dann auch wieder nicht so weit…
Liebe Martine,
ich bin froh, dass Ihr hier sesshaft geworden seit!!! LG Nina
Ich bin in meinem Leben so oft umgezogen (in den ersten 18 Jahren etwa 17 Mal…), dass bei mir schon immer der Mensch wichtiger war als das Drumherum.
Ich habe bei meiner Mutter gelebt und auch mal ein Jahr bei meiner Oma verbracht. Mit 17 bin ich dann ausgezogen und habe nie lange an einem Fleck verbracht. Ich war halt immer irgendwo und dann irgendwann auch in Berlin. Und ich habe sechs Jahre gebraucht, um in Berlin anzukommen. Und woran lag´s: An den Menschen…
Dani, das finde ich sehr interessant! Bei mir waren es „nur“ drei, aber das zeigt ja, dass das Wuzelnschlagen nicht so flott geht…..
Da hast du recht: die Menschen um Einen herum sind wichtiger als ein schickes Haus und gepflegte Grünflächen. Das ist einer der Gründe, weswegen wir unser kleines Reihenhaus am Stadtrand verkaufen und in eine andere Gegend ziehen wollen. Das, und der Bewegungsdrang von meinem Zweijährigen, den er hier nicht gut entfalten kann.
Ich weiß nur noch nicht ganz, wie man rechtzeitig herausfindet, wie die Menschen in unserem Wunschviertel wirklich sind. Wahrscheinlich werde ich da mal „undercover“ Beobachtungen anstellen müssen, haha!
Schöner Herzenstext! Und hast du recht? Nu gloar! Aufgewachsen in einem „guten“ Stadtteil von Dresden hat mich mein 18. Umzug in den verrufensten Stadtteil von Dresden verschlagen, Hundekacke und Hartzer soweit das Auge reicht (meint der Rest von Dresden). An jeder Ecke Schluckspechte mit Billigbier in der Hand am hellichten Tage. Armenküche neben Sozialkaufhaus und Billigbuchladen, in dem das teuerste Buch 1,50€ kostet. Dresden-Pieschen ist ne ehrliche Haut: sieht vielleicht Scheiße aus, hat aber einen guten Charakter. Aber nirgendwo habe ich soviel Herzenswärme erlebt. Als ich das erste mal auf der Straße von einer wildfremden Frau gegrüßt wurde, dachte ich:`Hat mich wohl verwechselt.`Nach dem dritten Mal hab ich langsam begriffen, die Leute haben einfach mitbekommen, dass ich hier jetzt wohne! Und hier grüßt man auf der Straße! Einfach so, weil man sich zum zweiten Mal über den Weg gelaufen ist! Oder das Gesicht sympathisch ist, was weiß ich. Nirgends habe ich so volle Kinderspielplätze gesehen, playdates sind quasi unbekannt. Wer irgendwas nicht mehr braucht, stellt eine „zu verschenken“-Kiste auf den Bürgersteig. Irgendwer brauchts immer. Unsere Familienkutsche stand (vollkommen vergessen) stundenlang offen mit steckendem Zündschlüssel auf der Straße, da klingelt ein mir gänzlich Unbekannter und setzt mich über diesen Zustand in Kenntnis mit den Worten: „Ich hab bis jetzt offgepasst am Fenster dass nischt passiert, aber ich muss jetzt los! Machense ma das Auto zu!“ Was sagste dazu?! Heimat 😀
@Kristine: Vielleicht ist das wirklich keine so schlechte Idee mit den undercover Beobachtungen. Du kannst ja mal „konspirativ“ Spielplätze testen…
@Rike: Wie immer sehr gelacht bei Deinem Kommentar!
Das glingt ja wie das Baradies do in Dräsden.. Äh oder so ähnlich. Muss noch an meinem Sächsisch feilen.
Ubi bene, ibi patria sagten die Römer.
Diesen Spruch: „wo es mir gutgeht, ist mein Vaterland“ habe ich zu meinem Wahlspruch genommen. Nach 36 Jahren Schweden, drei Jahren Frankreich und acht Jahren Berlin Bundeschlange, an der Spree gegenüber dem Tiergarten, bin ich vor einem Jahr mit neuer Lebensabschnittsgefährtin hier gelandet.
Die Wahl fiel leicht. Unsere Kriterien waren Wasser, Grün und Jugendstilwohnung, die Suche dauerte einige Jahre, Steglitz erfüllte die Kriterien wie eine eierlegende Wollmillchsau.
15 km Walking oder mehr am Teltowkanal sind möglich, die Miete für 110 qm passt einer schwedischen Pension, der Medizinbereich in allen Facetten ist mehr als genug gedeckt auf Gangabstand, Fitnessstudio und Einkaufen in der Schloßstrasse etc. Nicht-Sport Spaziergänge im Grunewald, Wannsee, Restaurantbesuche von niedrig bis hoch im Radius von ein paar Kilometern.
Im Gegensatz zu den Karrierebedachten Mietern der Bundesschlange zeigen unsere neuen Nachbarn gemischten Alters und damit Berufe eine größere Offenheit im Umgang mit einander. Es ist angenehm, wieder einmal eine altmodische Hausgemeinschaft zu erleben, wo man den Nachbarn um einen Gefallen bitten kann und auch um einen gefragt wird. Oder sich zum gelegentlichen Kaffe trifft.
Ich habe angefangen, Bücher zu lesen, die über die Geschichte, die Häuser, die Menschen von Steglitz berichten. Damit vertieft man ein Zugehörigkeitsgefühl, was vielleicht mal in ein Heimatgefühl übergeht.