Mütter mit Behinderung. Dazu gibt es viele Fragen. Menschen ohne Behinderung haben oft Berührungsängste und wissen nicht, wie sie sich gegenüber Menschen mit einer Behinderung verhalten sollen. Darf man Hilfe anbieten? Darf man sich nach der Krankheit erkundigen? Und wie schafft eine Mutter im Rollstuhl ihren Alltag? Ich darf Euch heute Ju vom Blog wheelymum vorstellen, die mit mir über diese Fragen geredet hat.
Ju, für Dich als Betroffene: Ist der Begriff „behindert“ noch angebracht? Welche Beschreibung ist Dir am liebsten?
Die Begrifflichkeit „behindert“ weckt bei Menschen eine Vorstellung und Assoziationen. Häufig sind diese negativ belegt. Ich verwende es dennoch bewusst, um Klarheit zu schaffen um was es bei mir auf dem Blog geht und um gleichzeitig möglichst viele Bereiche (Arten der Behinderung) anzusprechen. Gerne spiele ich aber auch mit dieser Begrifflichkeit, denn Behinderte werden sehr oft be – hindert. Von der Gesellschaft, der Politik usw. Gerade bei beeinträchtigten Jugendlichen ist das Wort „behindert“ aber durchaus ein richtiges Problem. Denn hier wird behindert als Beleidigung eingesetzt. Nach der UN – Menschenrechtskommision lautet die korrekte Bezeichnung: Menschen mit Behinderung oder eben hier: Mütter mit Behinderung. Diese kleine Unterscheidung, macht schon viel aus.
Welche Erkrankung hast Du und seit wann lebst Du mit der Behinderung?
Ich habe eine seltene neurologische Erkrankung: Chronisch inflammatorisch demyelinisierende Polyneuropathie.
Praktisch bedeutet dies, dass ich ein Dauerkribbeln und Sensibilitätsstörungen in beiden Beinen habe. Meine Beine sind unheimlich schwer und kann ich die Bewegungen der Beine nicht immer komplett kontrollieren. Dazu kommen Schmerzen in Beinen und im Lendenwirbelbereich.
Die Krankheit begann im Oktober 2008 – ohne bekannten Auslöser und hat sich immer weiter verschlechtert. Zunächst konnte ich kleinschrittig ohne Hilfsmittel laufen – 6 Wochen nach Krankheitsbeginn war das Gehen nur noch mit Unterarmstützen möglich. 2010 verschlechterte sich mein Zustand weiter und irgendwann war ich an dem Punkt, einen Rollstuhl als Hilfe für mich zu sehen: Lieber gut gerollt als schlecht gelaufen, also bekam ich meinen ersten Rollstuhl.
Welche Fragen wurden bei Dir und bei Deinem Partner aufgeworfen, als Euer Kinderwunsch kam?
Einen Kinderwunsch hatte ich schon immer. Ich bin ausgebildete Erzieherin und Kinder waren mein Leben. Mit Auftritt der Krankheit konnte ich von einem auf den anderen Tag nicht mehr arbeiten. Das hat sich bis heute nicht geändert. Bei einer Untersuchung in der Uniklinik 2011 wurde festgestellt, dass ich – auf Grund meiner Erkrankung – wohl keine Kinder bekommen kann. Das war ein Schlag. 2013 hat sich dann unser ganz persönliches Wunder still und leise bei uns eingeschlichen. Ich war schwanger und das überraschte nicht nur uns Eltern, sondern auch unser Umfeld und meine Ärzte. Die Reaktionen darauf waren bei weitem nicht nur positiv und ich fühlte mich oft diskriminiert. Auf meinem Blog habe ich darüber schon geschrieben.
Als wir wussten, dass wir ein Kind erwarten, gab es etliche Fragen:
– Schaffe ich das?
– Wie soll der Alltag funktionieren?
– Welche Hilfsmittel benötigen wir?
– Wie wird sich die Schwangerschaft auf meinen Körper und meine Erkrankung auswirken?
– Wie kann ich mit meinem Kind rausgehen?
– Auf was muss ich alles achten?
– Wie können wir uns das finanziell leisten?
– Wer betreut mein Kind, während meiner Therapie?
– Wie wird die Geburt ablaufen?
– Wo finde ich Gleichgesinnte?
Wir reagieren andere Menschen auf Dich?
Menschen, die mir nahe stehen, hatten hier ein größeres Problem mit mir. Meine Familie musste erst lernen mit mir, der Krankheit und der Behinderung umzugehen.Dieser Weg war sehr schwierig und brachte uns alle oft an die Grenzen. Mittlerweile ist es normal. Es gehört zu mir und das bin ich.
Aber viele Freundschaften sind an dieser Behinderung zerbrochen. Im Nachhinein kann man sagen, dann waren es nicht die richtigen. Ja, das mag sein, aber es tat dennoch weh. Wenn sich von heute auf morgen dein ganzes Leben ändert und dann brechen auch noch Freundschaften weg, das ist nicht einfach. Es waren in erster Linie Unsicherheiten die diese Freundschaften nicht standhalten konnten. Unsere Freunde können wir heute an einer Hand abzählen. Aber auf diese können wir uns blind verlassen.
Bei Bekannten oder fremden Menschen sind die Reaktionen sehr unterschiedlich aber auch teilweise drehen sich weg, es wird getuschelt und gelästert. Gleichzeitig höre ich immer wieder: „Das arme Kind.“ Die wenigsten Menschen haben aber den Mut mir dies persönlich zu sagen oder mich überhaupt anzusprechen. Es gibt aber nicht nur negative Beispiele. Ab und zu treffe ich auf Menschen, die uns sehen und sich für uns freuen. Oder einfach offen nachfragen, ob ich Hilfe brauche. So etwas tut sehr gut und macht mir Mut.
Auf dem Spielplatz ereignen sich manchmal die skurrilsten Situationen. Andere Mütter, die über mich urteilen und über mich sprechen, wenn ich nur ein paar Meter daneben stehe. In der besagten Situation habe ich mir das ein paar Minuten lang angehört und dann ging ich mit meinem Sohn. Beim Gehen sagte ich zu den Damen:
„Meinem Sohn geht es sehr gut. Ich wünsche Ihren Kindern, dass sie offene und tolerante Menschen werden. Nicht wie ihre Mütter.“
Mütter mit Behinderung: Wie funktioniert der Alltag?
Sind unsere Städte mittlerweile behindertengerecht ausgerüstet? Wie ist das in Deinem Wohnort, kommst Du da zurecht?
Ja und nein. Ich habe zu diesem Thema nochmal meine Onlineblase befragt und es zeigten sich doch sehr unterschiedliche Meinungen. Einige sind ganz unzufrieden mit ihren Großstädten, andere meinen sie werden mehr behindert, als dass sie behindertengerecht sind.
Häufig gibt es Schwierigkeiten, an die man im ersten Moment überhaupt nicht denkt. Kopfsteinpflaster z.B. sind für viele Rollstuhlfahrer problematisch. Für mich ein absolutes Ausschlusskriterium, da die Erschütterungen meine Rückenschmerzen so verstärken, dass ich mich übergeben muss. Auch weiß ich, von sehr großen deutschen Städten, wo Rollstuhlfahrer z.B. das Rathaus nicht besuchen können, da auf Grund des Denkmalschutzes, kein Fahrstuhl eingebaut werden kann. Bahnhöfe z.b. sind noch lange nicht barrierefrei.
In meinem direkten Umfeld komme ich in einen Discounter und in die Apotheke. Bäcker. Metzger und Gemüsehändler kommen zu mir auf den Bürgersteig, da ich nicht in ihre Geschäfte komme. Doch schon der Weg dahin ist nur mit Umwegen möglich. Es fehlen viele Bordsteinabsenkungen. Ein allgemeines Problem ist, behindertengerechte Wohnungen zu finden. Es ändert sich etwas. Ja. Aber es dauert einfach noch, bis man wirklich von Barrierefreiheit sprechen kann. Für meinen Alltag habe ich Wege gefunden, die ich bewältigen kann.
Wie ist Dein Alltag mit einem Baby und Kleinkind? Auch Mütter ohne Behinderung kommen an ihre Belastungsgrenzen. Erzähle uns, wie Du das geschafft hast!
Der Alltag ist zunächst einmal einfach nicht planbar. Wie wahrscheinlich bei allen frischen Eltern. Gleichzeitig funktioniert ohne Planung einfach nichts. Mein Mann war lange Zeit bei uns zu Hause und wir haben uns eingependelt. Nach und nach. Wir haben Hilfsmittel gesucht, gefunden, verworfen, selbst entwickelt usw. Und ich kam oft an meine Grenzen. Unser Sohn war ein Frühchen und musste zunächst noch auf der Frühchenintensivstation bleiben. Als er danach auf die Neantologie verlegt wurde, musste sein Papa bei ihm bleiben, da man in diesen Zimmern nicht mit dem Rollstuhl zurechtkam. Junior war ein High need Kind und hat viel geweint. Den größten Teil des Tages war er im Tragetuch.
Ich habe gestillt und mir neben den mega bequemen Stillkissen noch ein Stillkissen für Rollstuhlfahrer aus Amerika besorgt. So konnte ich Junior auch im Rollstuhl sitzend gut stillen. Die Möglichkeit zu stillen, war für uns nicht nur richtig, wichtig und das beste für das Kind, sondern auch eine enorme Arbeitserleichterung. Was das Thema wickeln anging, haben wir uns vorher informiert. Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass das kein Problem darstellen dürfte so lange ich einen unter fahrbaren Wickeltisch habe. Wir haben überlegt und gesucht und dann schließlich einen beim Möbelschweden gefunden. Ab dem Zeitpunkt, als Junior Stufen erklimmen konnte, haben wir ihm eine einklappbare Treppe bauen lassen und er konnte selbst auf den Wickeltisch krabbeln. Meistens hat das funktioniert. Seit er sicher steht, wickeln wir im Stehen. Das klappt immer.
Das Thema Schlafen ist hier ein Besonderes. Wir haben ein Familienbett, Früher hätte ich mir das nicht vorstellen können. Aber heute ist es bzw. war es für uns alle, die einfachste Lösung. Als Junior noch ein kleines Baby war, bedeutete dies, dass ich ihn mit dem Rollstuhl ins Schlafzimmer gebracht habe und ihn dann im Bett abgelegt habe. Danach habe ich mich umgesetzt und ihn dann zum schlafen hingelegt.
Umso älter er wurde umso agiler wurde er natürlich. Umso mehr testet er mich aus. Umso mehr kam ich an meine Grenzen. Und umso öfters musste ich von meinem eigentlichen Erziehungsstil abrücken. Und umso hilfloser werde ich. Letzte Woche z.b. hat er sich ein Stück Schokolade aus dem Schrank geklaut. Der Fehler lag klar bei uns, da die Schokolade hier eigentlich nicht liegen sollte. Aber der Zug war nun schon einmal angefahren. Von einem Stück Schokolade ist nun noch niemand gestorben, aber ich wollte einfach nicht, dass er morgens um halb 9 Schokolade isst. Mit seinen 2,5 Jahren ist er nun aber ziemlich ausgeschlaut und noch bevor ich etwas sagen konnte, saß er mitten unter dem Esstisch und aß sie genüsslich. Ich konnte nichts machen. Auch wenn diese Situation weder gefährlich noch schlimm war, fühle ich mich in solchen Momenten einfach hilflos. Was ich daran ändern kann? Die Schokolade beim nächsten Mal richtig wegräumen.
Erzähle uns von der Geburt Deines Kindes!
Vor der Geburt kommt die Schwangerschaft. Und die war bei uns leider alles andere als einfach oder schön. Nach einer schwierigen Anfangszeit, hatte ich bereits ab der 20. Woche Wehen und musste liegen. In der 25. SSW wurde ich stationär in der Frauenklinik aufgenommen, da man nicht wusste, wie lange es noch dauert, bis unser Kind zur Welt kommen wird. Mit strengster Bettruhe schafften wir es bis zur 34 Woche. Dann waren der Muttermund aber fast ganz offen und wir mussten einen Kaiserschnitt machen. Da meine Erkrankung so selten ist, und mein körperlicher Zustand schlecht war, war eine natürliche Geburt nicht möglich. Die Beckenendlage und die Vorderwandplazenta taten ihr übrigens dazu. Der Kaiserschnitt wurde unter Vollnarkose durchgeführt.
Das der Kaiserschnitt noch an dem Tag durchgeführt werden musste, wurde 5 Min nach dem Frühstück entschieden. So wurde zunächst die Nüchternheit abgewartet und dann wurde unser kleines Wunder zur Welt gebracht. Zu früh, zu klein, und mit mißleraben Apgarwerten. Er kam sofort auf die Frühchenintensivstation und ich in den Aufwachraum. 2 Stunden später, sah ich meinen Mann zum ersten Mal. Er hatte Junior bereits gesehen. Ich musste die Nacht auf der Überwachungsstation bleiben und war zu schwach um mobilisiert zu werden. Da Eltern nur zu bestimmten Besuchszeiten auf die Frühchenstation gehen durftem sah ich meinen Sohn erst 16 Stunden nach der Geburt zum ersten Mal. Das war die schlimmste Nacht meines Lebens.
Viele „gesunde“ Menschen sind unsicher im Umgang mit Krankheit und Behinderung. Man will nicht bevormundend erscheinen, aber auch nicht gleichgültig. Was wünschst Du Dir von Deinen Mitmenschen?
Offenheit. Wer Fragen hat, fragt nach. Alles ist besser als starren. Nehmt euch die Kinder zum Vorbild. Oft sehen mich Kinder und fragen dann ihre Eltern: Was hat die Frau? Oder Was ist das? und zeigen auf den Rollstuhl. Ich klinke mich in die Gespräche ein und erzähle, erkläre usw. Ich freue mich, immer wenn mich jemand fragt: „Brauchen Sie Hilfe?“ Dann kann ich selbst entscheiden, ob ich es alleine schaffe oder ob ich mich über Unterstützung freue. Das hat dann auch nichts mit Bevormundung zu tun. Wir beißen nicht. Einfach nachfragen und offen auf uns zugehen.
Liebe Ju, vielen Dank für das offene Gespräch!
Illustration: © Evelyn Merz/Pixelio.de
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