Das Buch „Lasse“, gerade im Ullstein Verlag erschienen, thematisiert die dunklen Seiten der Mutterschaft. Es ist die Geschichte von Nina, die sich noch in der Schwangerschaft sehr auf ihr Kind freut und von Yoga bis „Hypnobirthing“ alles mitmacht, um sich perfekt vorzubereiten. Als sie dann Mutter wird und spürt, dass sie nicht nur Liebe für ihr Kind empfindet, ist Nina verunsichert. Sie sucht Anschluss in Mütter-Cafés und Babykursen, aber fühlt sich isoliert. Überall sind Frauen, die selbstverständlich und mühelos liebevoll mit ihren Kindern umgehen.
Das Buch endet nicht gut und ist aufgrund der Tragik nicht immer einfach zu lesen. Trotzdem finde ich es wichtig, zu thematisieren, dass Mutterschaft gerade auch beim ersten Mal nicht immer einfach ist und man auch nicht dauer-glücklich sein kann und muss. Es ist ein sehr gut geschriebenes Buch und ein wichtiger Beitrag zur Mütter-Thematik.
Ich habe der Autorin Verena Friederike Hasel ein paar Fragen zu ihrem Buch gestellt:
Die Protagonistin Nina freut sich zunächst auf ihr Baby und bereitet sich mustergültig auf das Kind vor, inkl. Schwangeren-Yoga und Hypnobirthing. All die Vorbereitung nutzt am Ende doch nichts. Hat Kinderkriegen und die Vorbereitung darauf mittlerweile auch etwas mit Lifestyle zu tun?
Das Wort Lifestyle klingt zu abschätzig. Schwangere meinen es ja nur gut, wenn sie versuchen, sich auf ihr Kind vorzubereiten. Aber natürlich hat es Folgen, dass eine Frau in Deutschland heute statistisch betrachtet nur 1,37 Kinder bekommt. Da soll dann nichts mehr zufällig passieren, auch in der Schwangerschaft nicht, schon da herrscht großer Druck. Eine Frau mit Bauch wird ganz schnell eine Art Gemeinschaftseigentum, und jeder kommentiert ihre Ernährung, Erscheinung und ihr Verhalten: „Na, solltest du davon nicht weniger essen? Na, solltest du nicht mehr essen? Und ist es auch wirklich gut für Dich, abends auszugehen?“ Und wie viele Studien es darüber gibt, welche Wirkung Geschehnisse in der Schwangerschaft auf das spätere Leben des Kindes haben! (Und wie viele Studien, die keine spektakulären Ergebnisse haben, ungelesen in irgendwelchen Schreibtischschubladen landen…)Also lassen viele Frauen eine Schwangerschaft nicht mehr einfach geschehen, sondern betreiben sie wie ein Projekt. Und man darf nicht vergessen, dass das ganze auch ein Markt ist – und es viele gibt, die gut daran verdienen, dass Frauen das Beste für ihr ungeborenes Kind wollen.
Nina, die Mutter im Buch, hat eine romantische Vorstellung von ihrem Baby. Ein schönes Kind, das sie Lasse nennen möchte. Das wirkt wie aus einer Bullerbü-Idylle. Haben werdende Mütter heute zu idealistische Vorstellungen vom Leben mit Kind? Entstehen Burn-Outs, postnatale Depressionen und schlussendlich „Regretting motherhood“ aufgrund von zu romantischen Vorstellungen?
Nina will ihren Sohn Lasse nennen, wie der Junge aus dem Bullerbü-Idyll, mit dem so viele von uns aufgewachsen sind. Er wird dann am Ende anders heißen, weil alles anders ist als Nina es sich vorgestellt hat. Und tatsächlich ist dieser Übergang zur Mutterschaft eine große psychische Herausforderung. Da werden aus einem Menschen zwei Menschen, oft über Nacht, und das ist trotz aller Vorbereitung, die in der Schwangerschaft stattgefunden haben mag, doch die größte Veränderung, die im Leben ansteht. Und überhöhte Erwartungen, vor allem an sich selbst erschweren die Anpassung an die neue Situation. Es gibt in der psychoanalytischen Literatur diesen schönen Begriff der „good enough mother“. Der ist sehr wichtig, weil er entlastend ist. Das Beste wollen, eine gute Mutter sein, das klingt alles so absolut, eine Mutter, die gut genug ist, darf dagegen fehlbar sein.
In ihrer Verzweiflung und Überforderung sucht die Protagonistin durchaus Hilfe, die ihr aber verwehrt bleibt. Sind negative Gefühle in der Mutterschaft immer noch ein Tabu? Müssen alle Mütter immer dauer-glücklich sein?
Es gibt nicht nur diesen Perfektionsanspruch (und wer weiß, vielleicht werden uns unsere Kinder den eines Tages mal zum Vorwurf machen…), sondern auch ein Glücksdiktat. Aber davon abgesehen: Ich kann mich noch gut an die Vorzüge des Lebens ohne Kinder erinnern, am stärksten wahrscheinlich in Bezug auf meinen Mann. Früher waren wir nächtelang wach, weil wir miteinander redeten, heute sind wir das, weil unsere Kinder uns brauchen, wenn sie Husten, Schnupfen, Fieber haben. Und noch schwerwiegender: Wir sind nicht mehr so nachsichtig mit den Schwächen des anderen, weil wir unsere Geduld oft für unsere Kinder aufbrauchen. Und dann sind da noch diese Verteilungskämpfe, die in vielen modernen Beziehungen entstehen, sobald ein Kind da ist. Vor dem Kind versuchen zwei Menschen, die sich lieben, mehr an den anderen als an sich selbst zu denken, das ist das Wesen der romantischen Liebe. Mit Kindern verschiebt sich der Fokus, nun achten viele peinlich genau darauf, nicht zu kurz zu kommen bei den Verhandlungen darum, wie die Ressourcen verteilt werden. Vor allem die Ressource Zeit: Wann arbeitest du, wann bin ich dran, ist das so gerecht und so weiter. Das ist eine neue Konfliktlinie für Paare und historisch und gesellschaftlich sehr spannend, weil da ein Umbruch stattgefunden hat und wir keine Vorbilder dafür haben, wie man diese Konflikte löst.
Du bist selbst Mutter. Wie war es, das Buch zu schreiben? Und welches Verhältnis hast Du als Autorin zu Deiner Protagonistin?
Ich habe das Buch in meiner zweiten Babypause begonnen. Und dann nachdem mein Agent es verkauft hat – damals war es noch lange nicht fertig – habe ich mir freigenommen von meiner Arbeit als Journalistin und das Buch zu Ende geschrieben. Jetzt gerade habe ich wieder Pause, weil mein drittes Kind vor einem halben Jahr geboren wurde, und habe mit ihr auf dem Schoss die letzten Überarbeitungen gemacht. Ich habe das Schreiben sehr genossen. Es war ein Luxus für mich, die ich sonst immer die Wirklichkeit abbilde, einmal Fiktion zu schaffen. Meine Protagonistin hat mich gefordert, auch weil ich die Ich-Perspektive gewählt habe, um ihr möglichst nah zu kommen. Anders hätte es aber auch nicht funktioniert.
Wie sind die Reaktionen auf das Buch bisher?
Die unmittelbarsten Reaktionen erlebe ich ja immer auf Lesungen. Was mir und den Veranstaltern da bisher immer auffiel, war, wie lang die Diskussionen im Anschluss dauerten und wie hitzig und emotional sie geführt wurden. Und dann habe ich noch etwas gehört, was mich besonders froh macht, weil ich von Hause aus Psychologin bin. An einer psychologischen Fakultät ist mein Roman inzwischen Stoff in einem Seminar.
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