Der Beruf der Hebamme ist so wichtig und heutzutage extrem gefährdet. Die berufliche Situation hat sich für Geburtshelferinnen in den letzten Jahren in Deutschland extrem verschärft. Ich selbst habe vor 13 bzw. 8 Jahren noch eine sehr gute Situation als werdende Mutter vorgefunden, so geht es jungen Eltern heute schon lange nicht mehr. Die „Wehenschreiberin“, die beliebte Kolumnistin aus der SZ, spricht mit mir im Interview von Situationen wie bei „Maria und Josef“ und darüber, warum sie ihren Beruf trotz allem liebt und ihn einem hoch dotierten Job als Unternehmensberaterin vorgezogen hat.
Sie waren auf dem Weg, einen gut bezahlten Job als Unternehmensberaterin anzunehmen. Kann Idealismus auf lange Sicht finanzielle Sicherheit aufwiegen?
Natürlich war es ein finanzieller Rückschritt, ich komme aber gut über die Runden und fühle mich nicht mehr so sehr für meine verlorene Lebenszeit bezahlt wie es früher der Fall war, als ich Nächte vor Excel-Tabellen verbrachte.
Allerdings frustriert mich sehr, wie unterschiedlich die Umstände der Arbeit sind: Wo in der Industrie Dinge selbstverständlich und gerade bei Beratungen überbordend sind – z. B. Büroausstattung, Spesen, Firmenwagen – ist vor allem in Kliniken öffentlicher Träger für die alltäglichen Dinge oft das Budget knapp, Technik und Ausstattung veraltet. Dabei geht es hier um das hohe Gut der Gesundheit.
Dramatische Situationen für hochschwangere Frauen
Sie sprechen in ihrem Buch über „Maria und Josef“, tatsächlich finden Eltern in manchen Gebieten keine Hebamme mehr- und werden von Krankenhäusern abgewiesen. Verbessert sich die Situation allmählich?
Ganz im Gegenteil, der ja eigentlich erfreuliche Anstieg der Geburtenrate sorgt für immer mehr Arbeit. Durch die weitere Schließung und Zentralisierung von Krankenhäusern mit Geburtsstation spitzt sich die Lage dramatisch zu. Vor allem auch in den Kinderintensivstationen. Nicht nur die Frauen irren umher auf der Suche nach Obdach unter der Geburt, auch die Plätze für Kinder, die besondere Versorgung benötigen, werden immer knapper.
Genauso die Betreuung in der Schwangerschaft und nach der Geburt. Durch geplante Änderungen im Ausbildungsgesetz für Hebammen wird die Anzahl der Ausbildungs- bzw. Studienplätze drastisch gesenkt. Die Arbeitsbedingungen werden so nicht attraktiver. Wie da die zukünftige Versorgung sichergestellt werden soll, das ist mir ein Rätsel.
Aber das Thema wird öffentlicher, wurde ins politische Programm aufgenommen, Elternvereine gehen auf die Barrikaden. Das gibt mir Hoffnung.
Die Aufwertung von Pflegeberufen ist gerade Thema. Was wünschen Sie sich als Hebamme von Politik und Gesellschaft?
Notwendig sind neue Qualitäts- und Vergütungsansätze. Wenn z.B. aktuell der Kaiserschnitt viel höher vergütet wird als eine normale Geburt, ist ein geplanter Kaiserschnitt ohne triftigen Grund für ein Krankenhaus natürlich leicht verdientes Geld und nicht unbedingt der gesündeste Weg für Mutter und Kind. Der Aufwand für die normale Geburt ist oft viel höher. Sie dauert länger, ist nicht planbar und ein Team, dass für einen Kaiserschnitt bereitsteht, falls doch notwendig, muss zudem bezahlt werden.
Außerdem wünsche ich mir eine faire Bezahlung und sichere Arbeitsbedingungen, d.h. beispielsweise einen gesetzlich geregelten Patientenschlüssel mit Höchstgrenzen; Hebammen können nicht gleichzeitig 5 oder mehr Frauen unter der Geburt betreuen. Ein besseres Betreuungsverhältnis muss gesetzlich geregelt und finanziert werden.
Der Beruf Hebamme- was ich Berufsanfängerinnen rate
Kann man mit diesem Beruf alt werden und was raten Sie jungen Hebammen?
Noch bin ich selbst relativ jung, habe noch 30 Jahre Arbeit vor mir, aber ich frage mich schon jetzt, wie lange ich auch rein körperlich diesen Beruf ausführen kann. Auch wie ich mit meinem Gewissen und mit meiner Gesundheit die permanente Überlastung vertreten kann. Dennoch möchte ich meinen Beruf nicht aufgeben. Weiß ich doch, wie wichtig und wertvoll eine gute Pflege sein kann.
Mein Rat an junge Hebammen: Seht immer den Menschen, nicht den Patienten vor euch. Aber vergesst darüber euch selbst nicht.
Was kann man im Kreißsaal über Menschen lernen?
So einiges: Die Geburt ist eine archaisches Erlebnis, bringt viele an unerkannte Grenzen…Wenn man wie ich das Privileg hat, dabei zu sein, wird einem der schmale Grat zwischen Glück und Trauer, Leben und Tod auf einmal sehr bewusst. Ich sehe in meinem Alltag, wie sich Menschen und Paare unter Stress und Schmerzen verändern: Wut und Frust lassen sie toben, bei anderen stellt der Körper voll auf Instinkt und sonst vermeintlich graue Mäuschen wachsen über sich hinaus.
Notfallsituationen, in denen ein Team um das Leben von wildfremden mit allen Mitteln kämpft und sich danach weinend in den Armen liegt. Und dann gibt es da fast täglich in meiner Arbeit diesen Moment, in der so eine allumfassende Liebe alle im Raum überrollt. Und man für einen kurzen Augenblick alles um sich herum vergisst und einfach nur staunt und dankbar ist. Für diese kleine große Wunder der Geburt.
Mehr über die Wehenschreiberin und ihr Buch
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Die „Wehenschreiberin“ Maja Böhler erzählt lebendig und berührend in einer Kolumne im SZ-Magazin aus ihrem Berufsleben. Ihre Geschichten von Menschen, Extremsituationen und dem wiederkehrenden Wunder der Geburt sind jetzt als Buch bei Goldmann erschienen. Für alle werdenden Mütter (und Väter) sowie Frauen mit dem Wunsch Hebamme als Beruf ein Must-read!
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