Familienalltag mit Humor

Was ist Heimat? Unser Trip in die Vergangenheit

29. März 2016

Heimat. Über Ostern sind wir in unsere Vergangenheit nach Rheinland-Pfalz gefahren. Erst zu Opa Max (Ihr kennt ihn schon aus meinem Buch) in den Westerwald und dann nach Rheinhessen aufs platte Land. Dort sind mein Mann und ich aufgewachsen und irgendwo zwischen Weinreben und Spargelfeldern haben wir uns 1986 kennengelernt. Wir wollten den Kindern zeigen, woher wir kommen, unsere Elternhäuser, Land, Lebensart und Leute. Auf der Autofahrt fragt mich mein Sohn: „Und wie spricht man bei Euch zu Hause?“. Er weiß nämlich schon, dass Rheinhessen und Berlin seeeehr unterschiedlich sind….

Heimat ist dort wo man „ausländisch“ redet?!

„Ei, bei uns, do babbelt man ebbe so.“ Ratlosigkeit auf der Rückbank des Autos macht sich breit. Wir beide können zwar sehr gut unseren heimischen Dialekt, aber wir benutzen ihn nie. Untereinander und mit unseren Kindern sprechen wir hochdeutsch und wir wohnen ja auch schon seit 15 Jahren in Berlin.
„Ist das ausländisch, Mama?“ will die Tochter wissen. Dem Sohn, der so langsam aber sicher in die Vorpubertät kommt, ist eh alles peinlich. „Hört auf so zu reden, ich versteh ja nix. das ist PEINLICH.“

 

Auf der Fahrt in die Heimat versuchen wir Eltern festzumachen, was das eigentlich ist, Heimat. Das ist so ein großes und auch oft missbrauchtes Wort in der deutschen Sprache. Irgendwie ein bisschen altbacken, altmodisch. Und ist nicht Berlin jetzt unsere Heimat? Aber dort wo man seine Kindheit und Jugend verbracht hat, da findet ja schon eine starke Prägung statt. Sind wir jetzt immer typische Rheinhessen oder schon Berliner? Was bleibt, wenn man in die Fremde zieht? Au weia, jetzt klinge ich, wie in einem Heimatfilm aus den 50er Jahren…..

Eine Kindheit auf dem Land

„Guck mal Sebastian, das hier sind alles Weinberge und in dem Feld dort drüben, da haben Mama und ich eine Party gefeiert. Das war circa 1993.“
„Wieso denn im Feld??“, fragt der verwunderte Sohn, der gerade erst eine Party im Indoor-Spielplatz gefeiert hat. „Wir hatten eben nichts anderes, Discos waren weit weg in Mainz, da kam man nicht so einfach hin und es hat ja auch Spaß gemacht.“ Ich klinge schon wie mein eigener Schwiegervater, wenn er von „der armen Zeit“ redet. Sebastian wird ganz still. Offenbar sind seine armen Eltern in bitterer Armut aufgewachsen, noch nicht mal Discos hatten sie.

Wir fahren weiter ins Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, um mein Elternhaus zu sehen. Es ist schon lange verkauft. Meine Mutter wohnt nun bei uns in Berlin, mein Vater mit meiner anderen Familie in den USA.
Als ich davor stehe, bin ich leicht geschockt. Ich hatte ein großes, schönes Haus in Erinnerung, aber nun wirkt es so klein, noch dazu farblich furchtbar verunstaltet. Alles pastellfarben, furchtbar. Seltsames Gefühl. Auch unsere alte Strasse wirkt miniklein auf mich. Wie in einem Miniaturen-Themenpark aus den 70er Jahren. Wir fahren weiter, zu unserer alten Schule. Die fand ich immer sehr schön, weil so offen gestaltet und modern. Angekommen stehen wir vor einem umzäunten Klotz aus den 80er Jahren. „Mama und Papa haben sich im Knast kennengelernt“, scherzt mein Mann. Tatsächlich, das alles wirkt ein bisschen wie JVA anstatt beschauliches Gymnasium auf dem Lande. Wir fragen die Kinder, wie es ihnen gefällt.
„So mittelgut“, lautet ihr Urteil.

Kleine Häuser, weites Land

Wir fahren weiter durch kleine Ortschaften, über wunderschöne Landstraßen zu den Schwiegereltern. „Hier ist soviel Himmel“, meint Constanze plötzlich. Tatsächlich, uns fällt es auch auf. Einen Blick, der weit schweifen kann, das habe ich schon lange nicht mehr gehabt. In Berlin sind die Häuser höher, die Straßen größer, es gibt mehr Menschen und weniger Natur. Fasane und Bussarde in freier Wildbahn, das haben unsere Kinder noch nicht gesehen und ich staune auch über so viel Schönheit der Natur. „Damals“ ist mir das nie aufgefallen….

Zu Hause bei Oma und Opa gibt es erst einmal Kuchen und Wein. Überhaupt kommen wir uns wie Rotkäppchen vor. Egal, wen wir besuchen, überall gibt es die herrlichsten, selbst gebackenen Kuchen und immer gerne noch ein Gläschen Wein. Geselligkeit und Genuss, das ist schon in Rheinhessen zu Hause. Vielleicht ist das diese Prägung, das, was wir aus unserer Heimat mitgenommen haben? So viel gutes Essen, das kann man gar nicht aufessen.
„Ei, gib mir mal Deine Reste, isch will ja auch in der nächsten Auflage Deines Buches vorkommen, gell?“, sagt Opa Max und nimmt mir meinen Teller ab. Kapitel 18 handelt ja davon, dass er alles aufhebt und nichts wegwerfen kann. Humor und Selbstironie gibt es auch reichlich in unserer Heimat, soviel ist „sischä“.

Auch am Ostersonntag kann man als früherer „Einheimischer“ Wein direkt beim Winzer einkaufen und so laden wir uns den Kombi mit Silvaner, Riesling und Winzersekt voll und fahren glücklich, satt und ein bisschen melancholisch in unsere neue Heimat, nach Berlin. Die Kindheit und Jugend war schön und eindrucksvoll, aber die Zeit in Rheinhessen doch vorbei. Das bedeutet aber nicht, dass man nicht weiß, woher man kommt.

Auf der Rückfahrt hat Constanze noch eine wichtige sprachwissenschaftliche Frage. „Mama, sagen alle alten Leute „gell“? Sie hört eben immer nur alle Großeltern „gell“ sagen (was so viel heisst, wie „nicht wahr?“)

„Och jooh, Schwestä“, tönt mein Sohn von der Rückbank. Er kann jetzt auch „ausländisch“ sprechen. Pardon, babbeln….

Frau Mutter folgen

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1 Kommentar

  • Reply Nele 15. Juli 2016 at 10:23 am

    Herzlich lachen muss ich dabei, habe in Mainz studiert und die Freunde aus Rheinhessen habe mich so oft mit Winzersekt der Eltern beglückt, ich fahre immer gerne zu Besuch, es ist herrlich unkompliziert und bei einem Weinchen kann man immer nett plaudern 🙂 Die Menschen sind viel authentischer und direkter als in den Großstädten

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