Mein neues Lebensgefühl 40+ lautet in Anlehnung an Willy Brandt ungefähr so: Mehr Egoismus wagen! Schon seit ein paar Jahren macht sich ein Gefühl in mir breit: Wo stehe ich? Was will ich? Und wer um Himmelswillen bin ich heute überhaupt? Ich bin mit fast 45 Jahren nicht dieselbe Person wie mit 35, aber irgendwie auch noch die 12jährige Nina und die 20jährige. Man ändert sich mit den Jahren, aber natürlich bleiben manche Dinge gleich. Familie und Kinder machen es einer Frau und Mutter ganz schön leicht, jahrelang nur „Alltag zu schrubben.“ Bei mir kam in der Familie auch noch ein Pflegefall hinzu, darum will und musste ich mich intensiv kümmern und das bleibt auch noch so. In der letzten Dekade ist viel um mich herum passiert und ich hatte für viele andere die Verantwortung. Unsere Kinder sind nun (fast) groß, 8 und 12 Jahre alt, eine ganz andere Hausnummer als vor ein paar Jahren noch….
Ganz deutlich wurde mir das am letzten Wochenende: Sohn und Tochter waren beide ausgeflogen und übernachteten bei Freunden. Nachmittags um 15 Uhr war alles getan: Eingekauft, gewaschen, Hausaufgaben erledigt.
Die Kinder sind groß: Wer bin ich und was will ich jetzt?
Mein Mann und ich saßen untätig auf der Couch rum….
„Du, wir brauchen jetzt ein Hobby“, sagte ich zu ihm. Es ist Samstagnachmittag und wir haben Zeit für uns? Ich lauschte- es war still im Haus. Kein Kind, dass „Abputzen“ rief oder nur „Mamaaaaaa“. Wahnsinn, so müssen sich „empty nesters“ fühlen. Ein unwirkliches Gefühl. Haben wir uns so in den 30ern gefühlt?
Irgendwie toll, aber auch irgendwie überfordernd. So lange habe ich alles gewuppt. Eine Massage hier, ein Stadtbummel da, das war „me-time“.
Und jetzt soll es plötzlich wieder regelmäßig und mehr „Me-Time“ geben? Bis dann irgendwann das ganze Leben wieder mein sein soll? WAHNSINN.
Ich bin auf mich selbst zurückgeworfen
Ich bin etwas ratlos und auch wehmütig. Ich fühle mich auf mich selbst zurückgeworfen und frage mich ernsthaft, ob ich mich im letzten Jahrzehnt zwischen all dem Hadern und dem Gehetze zur Vereinbarkeit etwas verloren habe.
Berufstätige Mütter haben unterbrochene Lebensläufe, haben sie aber auch unterbrochene Biographien? Haben wir nicht nur im Beruf ausgesetzt, sondern auch „bei uns“? Haben wir die Beziehung zu uns selbst vielleicht sogar am meisten vernachlässigt?
„Ist der Job der richtige für mich und sollte ich nicht mal wieder Sport machen“? – diese Fragen sind ja auch nur die Spitze des Eisbergs…Es geht im viel mehr- um Identität.
Zeit innezuhalten und auf das gelebte Leben zurückzuschauen
Jetzt mit Mitte 40 lasse ich mein gelebtes Leben mit allem was dazu gehört Revue passieren Das ist nicht immer angenehm und in der Tat ist manches unwiederbringlich vorbei. Wer die Mitte des Lebens ehrlich anschaut und Zwischenbilanz zieht, wird nicht nur auf Schönes zurückblicken. Ich lerne gerade, mich damit zu versöhnen.
Dankbarkeit, Versöhnung, ganz viel nach innen schauen. Ich habe begonnen, mir dafür Zeit zu nehmen und es ist schon erstaunlich, was alles so „hochkocht“. Was ist mir wichtig, für mich?Dazu gehört Beruf und Familie aber auch so banale Dinge wie: „Wieviel Small-Talk kann ich in meinem Leben überhaupt noch vertragen?“ Ehe, Familienplanung, Beruf,Haus, Garten, Auto. Große Baustellen sind das gewesen für die man viel Energie braucht.
Nun bin ich mal wieder dran!
„Meine Familie kommt an erster Stelle“, das lese ich gerade in meiner Filterblase immer wieder. Das ist auch immer noch bei uns in Deutschland gesellschaftlich so gewollt. Eine gute Mutter stellt sich hinten an. (Gesunder) Egoismus von Frauen (mit Kindern) wird zumindest nicht beklatscht. „Warum hat die denn Kinder bekommen, wenn sie x, y und z macht.“
Ich frage mich, ob es auf ein ganzes Leben hin gesehen gut für uns Mütter ist, uns so lange hintenanzustellen. Dürfen wir nach den intensiven Jahren der Kleinkindzeit nicht sagen: So, und nun bin ich mal wieder dran!?
Wahrscheinlich hätten wir es immer sagen sollen, von Anfang an.
Nicht immer wird dem Verständnis entgegen gebracht. Immer öfter gelingt es mir aber, mich von den Wertvorstellungen anderer frei zu machen. Auch von meinen eigenen ursprünglich gelernten Wertvorstellungen, das nennt man dann wohl persönliche Entwicklung.
Ich merke an mir, dass ich weniger gefällig sein will. Neinsagen fällt mir immer leichter. Vielleicht auch, weil man den Bullshit anderer Menschen viel schneller durchschauen kann.
Ich bin gesund und in keiner Notsituation. Ich schätze mich glücklich, dass ich mir all diese Gedanken überhaupt machen darf. Vielleicht brauche ich also gar kein Hobby?
Nun bin ich mal wieder dran. Wie toll ist das denn?
Ich freue mich zu hören, wie das bei Euch aussieht!
15 Kommentare
Ich habe ehrlich gesagt schon bammel… nein eher Angst, wenn es soweit ist.
Ich bin Vollzeit arbeiten und dieses gehetze kenne ich zu gut, ABER es erfüllt mich.
Ich liebe es Mutter zu sein und ich glaube genau das ist mein Hobby. Zwischendurch gibt es Oma und Opa Tage, wo ich mich gut beschäftigen kann, aber ich bin am Abend nicht ausgelastet und kann ewig nicht einschlafen.
Ich hätte gerne jedes 3-4 Jahr ein neues Baby XD. Meine Kinder sind jetzt 9 und 4 und der große wird jetzt schon flügge. Ich lasse Sie alles machen und bin auch nicht der Glucken-Typ… ich leide innerlich vor mich hin. Meine Hoffnung sind nun 100 Enkelkinder, welche ich betuddeln kann 😉 Ich weiß nicht wie es wird, aber dieses kleine Stück für Stück Selbstständigkeit macht sich jetzt schon bemerkbar …
Ich weiß noch nicht wie ich es ausgleichen soll… vielleicht werde ich ja dann eine verrückte Katzenfrau … 😉
So toll, dass Du von Erfüllung sprichst. Das ist doch die Hauptsache und davon profitiert deine Familie sicher! Ich denke, man muss sich echt damit beschäftigen. Die Kinder sind schnell groß und dann? lg nina
Mir geht es recht ähnlich 😉 Allerdings habe ich mich in Beziehung „Wertvorstellung“ anderer schon recht lange losgesagt. Entweder man mag mich oder nicht. Ich werde nächsten Monat 44, bin alleinerziehende Mama von einem 8 jährigen Sohn, habe einen Job und renne mir jeden Tag die Hacken ab (was ich aber gerne mache, eine gute Orga ist alles;-)). Dafür genieße ich dann die Wochenenden an welchen mein Sohn bei seinem Papa ist. Wichtig ist es auf jeden Fall sich selbst eine „QUALITY TIME“ zu gönnen. Ich habe z. B. jeden Mittwoch Abend für mich und meinen Sport, da passt dann der Papa auf 🙂 Gott sei Dank funktioniert das bei uns echt super!
Dann noch ein Kompliment an Dich. Ich finden Deinen Blog super und verfolge Ihn regelmäßig, auch wenn ich heute das erste Mal etwas kommentiere.
Liebe Nadine, glaube Dir gerne, dass Du Dir die Hacken abrennst. Wahnsinn, was gerade Alleinerziehende schaffen. Und wie gut, dass Du für Dich ein Gleichgewicht gefunden hast. GROSSARTIG! LG Nina
Ich bin gerade noch mitten drin, aber fühle mich auch schon relativ frei. Ich bin 31, die Kinder sind 4 und 5 Jahre alt und sie hängen so viel bei Freunden rum, dass ich auch viel Zeit für mich finde. Nach der anstrengenden Babyzeit, die bei mir mit dem Berufseinstieg zusammenfiel, ist das sehr cool und ich kann es genießen.
oh wow, da hattest Du aber viel, was zusammen kam. Schön, dass es nun entspannter ist;)
Dein Beitrag spricht mir aus dem Herzen! Es ist gar nicht so einfach, wenn die Kinder größer werden und damit das eigene Leben wieder mehr Gewicht im Alltag bekommt. Anknüpfen ans vorher geht nicht so schlicht und etwas Neues will eben erst aufgebaut werden. Gefühlt stecke ich mitten in diesem Prozess. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge (und doch noch ziemlich gebremst von diesem Unding VEREINBARKEIT.
Viele Grüße, Svenja
Ja genauso ist es. Einfach weitermachen wie vorher geht nicht. Manchmal ist dieses „Neuerfinden“ anstrengend, aber immer auch eine Chance!
Toll. Das finde ich wichtig – das Neinsagen 🙂
LG
Danke für den Artikel. Mir geht es gerade genau so. Meine Zwillinge werden 9.
Sie spielen alleine draussen, besuchen Freunde, haben Hobbies, erledigen selber die Hausaufgaben. Und ich habe plötzlich Zeit.
Was soll ich damit nur anfangen nach Jahren des Dauerstress zwischen Arbeit und Kindern?
Ich muss mich auch gerade neu erfinden. Die Interessen aus der Zeit vor den Kindern Karriere, Party, Reisen passen auch nicht mehr. Es ist ein neues Lebensgefühl. Aufregend!
Der Bericht passt gerade zu meinem Leben.
Der Sohn wird mit zehn Jahren immer unabhängiger, fährt selbständig zu Freunden und ich trete immer mehr in den Hintergrund.
Das gefällt mir sehr gut. Ich genieße das richtig.
Es herrscht auch ein anderes Miteinander, mehr auf Augenhöhe. Man diskutiert anders, unterhält sich über „Erwachsene“ Themen wie Forschung, Ökologie…
Ich muss sagen, das ist die beste Zeit.
Der Baby- und Kleinkindphase trauere ich nicht hinterher. Im Gegenteil.
Es ist schön, die Verantwortung immer mehr abzugeben, weil das Kind eigene Entscheidungen trifft, sich selbst findet und ganz eigenständig von mir denkt und handelt.
Mein Sohn ist in vielerlei Hinsicht komplett anders als ich und das ist super spannend!
Auch liebe ich es, meinen Hobbies ausgiebig nachzugehen.
Wanderungen, Radtouren, Sport, in die Sauna gehen…
Es ist fantastisch. Jetzt beginnt mein zweiter Frühling 🙂
Liebe Grüße,
Conni
Ich bin über Facebook auf diesen Artikel gestossen und habe mich absolut wiedergefunden in deinem Bericht. Meine Kinder sind auch groß und ich habe erst seit 1 1/2 Jahren bemerkt, „wo ist die Zeit geblieben“?
Mein Augenmerk ist tatsächlich auf mich fokussiert und bemerkt, welchen bullshit Leute tatsächlich reden und man sie durch schaut.
…..und die Frage, was mach ich jetzt?
Ich finde deinen Beitrag wirklich sehr toll und schön geschrieben und ein toller Ansporn mein Leben endlich in den Griff zu nehmen und an mich zu denken. Gerade auch aus gesundheitlicher Sicht (glücklich zufrieden) und mein Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten, das allein macht 40+ so interessant!
Viele viele grüße
Jessica
Liebe Jessica, danke für Dein liebes Feedback. Let’s rock die 40er! LG Nina
Ich bin 55 und erziehe noch. Das letzte von vier Kindern wohnt noch zu Hause. Und während andere Mütter in meinem Alter, sich mehr und mehr um sich oder um ihre Beziehung kümmern, geht es mir streckenweise immer noch so, wie vor 17 Jahren, als ich mit drei Kindern alleine da stand. Immer noch drehen sich meine Entscheidung darum, wie ich sie verantworten kann, weil ich nicht für mich alleine verantwortlich bin. Ich hätte im letzten Jahr die ein oder andere Entscheidung anders getroffen, ohne diese Verantwortung. Meine jüngste Tochter ist dreizehn und die Zeit und Art wie sich mich braucht ist anders, aber sie braucht mich. Mehr und mehr kann ich mich wieder abends mit anderen Menschen treffen, denn sie hat keine Angst mehr alleine zu bleiben. Das ist für mich ein Stück Freiheit und ermöglicht mir zum Beispiel im Chor zu singen. Ich merke aber auch, dass ich anderes erziehe, als noch vor dreißig Jahren. Ihr ältester Bruder ist Ü30 und sagt oft, bei uns warst du nicht so streng. Alles in allem, versuche ich mir immer bewußt zu machen, dass meine Freiräume größer werden. Doch manchmal denke ich auch, mir läuft die Lebenszeit davon.
Vielen Dank für den schönen, nachdenklichen Beitrag. Ich habe ihn auf meinem Blog verlinkt.
Liebe Grüße,
Britta
Ein lesenswerter Beitrag, vielen Dank dafür. Ich bin Mutter eines erwachsenen Teenagers und war immer berufstätig. Mal mehr, mal weniger, jetzt wieder mehr. Als unser Sohn ins Teenageralter kam, haben wir uns gefreut, wieder mehr Zeit für uns zu haben, jeder für sich, aber eben auch für uns als Paar und wir haben da schon begonnen, vieles zu zweit zu machen und nicht mit dem nörgelnden Teenager zu diskutieren, wenn er eben keine Lust auf Ausflug A oder B hatte. Darüber freuen wir uns heute noch immer sehr. Und ja, das Neinsagen ist was ganz Wichtiges, das musste auch ich mühsam lernen. Unsere Gesellschaft hinkt sehr hinterher mit ihren Forderungen, was eine Frau/Mutter alles tun und lassen soll und wenn sie es dann macht, es genau andersherum zu kritisieren. Ich weiß nicht, ob es typisch Deutsch ist oder ob das in allen Kulturen so ist, mich regt das aber auch seit Jahrzehnten auf, das klassische Rollenbilder als altmodisch abgetan werden, aber wehe man unterbricht sie selbst, dann bekommt man zu hören, dass man dann doch besser keine Kinder bekommen hätte… Alles in allem ein großes JA zu deinem Beitrag. Danke dafür.
Herzliche Grüße
Anita | antetanni.wordpress.com