Familienalltag mit Humor

Corona, Tod und Trauer: Was ich getan habe, als mein Leben dramatisch wurde

27. Januar 2021
Covid-19_Todesfall

In den letzten vier Wochen habe ich so viel Schmerz, Angst und Traurigkeit erlebt wie noch nie in meinem Leben. Das ist auch der Grund, warum es hier so still war. Ich musste die Ereignisse erst mal verarbeiten, sie überhaupt realisieren und die Kraft finden, wieder aufzustehen. Ich habe viel gelernt in den letzten vier Wochen, wie in einem Zeitraffer. Ich habe lange überlegt, ob ich diesen persönlichen Text schreiben solI. Mehr Verletzlichkeit geht ja nicht. Ich möchte trotzdem mit Euch darüber reden, denn bei vielen von uns hat momentan das Drama im Leben Einzug gehalten. WIR SIND VIELE. Wie geht man damit um? Was kann man dann tun? Wie macht man weiter? Ich habe Liebe, Mitgefühl und Freundschaft erlebt, auch von völlig Fremden. Besonders in den sozialen Medien, die wieder sozial für mich wurden. Auch aus Dankbarkeit dafür habe ich aufgeschrieben, wie ich mit der schwersten Zeit in meinem Leben fertig wurde.

Mutter und Vater erkranken an Covid-19: was jetzt?

Aber von Anfang an.

Ich erfuhr am 24. Dezember von einem Coronafall in meinem Umfeld. Fast zeitgleich entwickelte ich Symptome. Am 25. Dezember ließen wir uns alle testen. Das Ergebnis: Unser Sohn und ich waren positiv, Mann und Tochter (noch) negativ. Wir isolierten uns und harrten aus. Aus berechtigter Sorge heraus bekam ich große Angst, dass ich ins Krankenhaus müsse.

Am 27. 12. stand mein Mann mit Maske vor meinem Isolationszimmer und sagte, er habe nun auch Symptome und müsse sich testen lassen. Wir alle hatten dann Corona – bis auf die Tochter, die schon immer ihren eigenen Kopf hatte.

Fünf Minuten später klingelte das Telefon. Das Pflegeheim meiner Mutter informierte mich, dass sie im Sterben liege.

Verzweiflung und Panik

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich an diesem Tag verzweifelt geweint und geschrien habe. Irgendwann merkte ich, dass ich mich dringend beruhigen muss, herauskommen aus dieser Panikspirale. Nur wie in dieser absolut traumatischen Situation? Instinktiv stellte ich mir Klaviermusik an. Es wirkte, ich wurde etwas ruhiger und habe versucht, auszuatmen. Ein paar Stunden habe ich nur das gemacht: Einatmen, Ausatmen.

Dann fiel mir als ablenkende Aktivität nur etwas sehr Profanes ein: Ich feilte mir die Nägel. Eigentlich banal, aber es hat geholfen. Ich konnte wieder einen klaren Gedanken fassen.

Meine Mutter liegt im Pflegeheim im Sterben- und ich kann nicht zu ihr

„Ruf Mami an!“ Meine Mutter sollte wenigstens unsere Stimmen hören. In den darauffolgenden Tagen rief ich mehrmals an, anfangs konnte meine Mutter sogar noch schwach antworten. Wir sagten ihr immer wieder, dass wir sie lieb haben und dass sie durchhalten müsse.

Wir alle mussten noch sechs lange Tage durchhalten, die wohl längsten meines Lebens.

Nach Ablauf dieser Zeit rief das Gesundheitsamt an, ich hatte zu diesem Zeitpunkt immer noch Symptome, die aber zum Glück mild geblieben waren. Ich schilderte der kompetent-freundlichen Dame die Situation. Da das Heim sowieso vorab alle Besucher testen würde, wurde ich aus der Quarantäne entlassen.

Wieder Panik und Verzweiflung: Was, wenn ich immer noch positiv bin? Können wir uns dann nicht mehr verabschieden? Muss meine Mutter alleine gehen?

Am Tag, als ich das Haus wieder verlassen durfte, wappnete ich mich für einen sehr schweren Gang. Ich wurde getestet, das Ergebnis war zum Glück negativ.

Ein schöner Abschied wird uns geschenkt

Ich durfte meine Mutter noch drei Mal sehen, das letzte Mal gemeinsam mit meinem Mann. Nach fast einem Jahr Treffen auf Distanz, mit Maske und ohne Berührung konnte ich sie nun anfassen, streicheln, küssen. Sie konnte nicht mehr mit Worten sprechen, aber mit ihren Augen. Und lächeln.

Es war schwer, furchtbar- und trotzdem schön. Wir durften uns verabschieden, was ich als Geschenk empfinde. Ich konnte ihr alles Wichtige sagen. Ich habe ihr ihre Lieblingsmusik vorgespielt, von La Traviata bis It’s Raining Men. Ich wußte, das war ihr wichtig, und in einer so traurigen Situation die Weather Girls zu spielen war ein tragigkomischer Plan, den meine sehr humorvolle Mutter sich wohl so überlegt hatte. Comic Relief.

Wenn das Leben dramatisch wird: Wie kann man das eigentlich schaffen?

Viele von uns machen gerade Schweres oder Traumatisches durch. Für uns alle wollte ich in diesem Text reflektieren, was in solchen Situationen helfen kann. Uns zwar, wenn man mittendrin steckt und was kurz danach helfen kann. Ich bin weder Ärztin noch Psychologin, ich beschreibe hier nur, was für mich funktioniert hat.

Eins kann ich nach dieser Erfahrung sicher sagen: Du schaffst es, und Du kannst durch schwere Zeiten gehen. Es klingt so leicht, fast wie ein Kalenderspruch. Ist es aber nicht. Der Prozess ist hart und er kostet Dich ALLE Kraft und noch darüber hinaus. Du wirst funktionieren, wenn auch nur für die absolut essenziellen Dinge. Es wird aber besser.

Was mir bei der Bewältigung der Trauer bisher half

  • Wenn es passiert ist, versuche auszuatmen, um Dich aus der Panikspirale zu bringen.
  • Mache Dir Musik an oder, wenn Du gläubig bist, bete. Auch ein Mantra hilft, etwas, was Du Dir selbst sagst. Ein Satz, auf den Du Dich die nächsten Minuten und Stunden, Tage konzentrierst und immer wieder gedanklich fokussiert. Meiner war: „Ich werde gesund, ich muss zu meiner Mutter.“
  • Gleichzeitig werden profane Tätigkeiten in diesen Tagen ein kleiner Anker, Dinge bei denen Du nicht denken muss. Wie Nägel feilen zum Beispiel, einen kurzen Spaziergang machen. So etwas.
  • Positive Dinge, die Du gerne machst, helfen auch. Sobald ich wieder riechen konnte, habe ich mich bewusst mit wohlriechenden Duschgels und Lotionen verwöhnt. Sich nur auf eine, schöne Sache zu konzentrieren, wie ein guter Duft, war hilfreich.
  • Kraft, die Du jetzt nicht hast, wird Dir gegeben. Du wirst echte Anteilnahme, tiefe Freundschaft und wahre Liebe erfahren. Auch von Menschen, von denen Du das gar nicht erwartet hast. Oder solche, die Du noch gar nicht so gut kennst.
  • Auch werden Dich Menschen in dieser Zeit enttäuschen. Aber weil Du keine Kraft mehr dafür hast, nimmst Du diesen Teil milder auf als sonst und wächst daran. Komischerweise sind diese Menschen eigentlich keine Überraschung für Dich.
  • Anteilnahme und Beileid spenden Dir tatsächlich Trost. Ich hatte das Gefühl, dass sich mein ganzes Leben bei mir gemeldet hat nach dem Todesfall, und das war heilend.
  • Familie ist alles. Gerade auch im Lockdown. Ohne meinen Mann und meine Kinder hätte ich viel länger gebraucht, wieder aufzustehen. Die körperliche Nähe, das buchstäbliche Auffangen und Halten war und ist meine Quelle, aus der wirklich täglich neue Kraft und Energie kommt.
  • Verlange jetzt ganz wenig von Dir: Es ist schwer sich das einzugestehen, aber Du kannst nicht einen Knopf umlegen und wieder funktionieren. Produktive Arbeit ist erst mal nicht möglich. Meine Lösung: jeden Tag etwas Schönes für mich zu tun. So kehre ich langsam aber sicher zurück. In meine Lebensfreude und schließlich auch in das Berufsleben
  • Priorisieren. Das lernt man (leider) ganz intensiv in diesen Zeiten. Für uns hieß das: Beerdigung und Trauer kommt vor Homeschooling, und alles andere kommt dann danach….irgendwann wieder.

Wann ist die Trauer vorbei?

Ich trauere zum ersten Mal in meinem Leben in diesem Maße, und ich konnte mir bis heute gar nicht vorstellen, wie viel Kraft das kostet. Wie unglaublich erschöpft ich mental und körperlich war und immer noch bin.

Ich erwarte auch nicht, dass ich in einer Woche wieder die Alte bin. Viele Freunde, die schon ihre Eltern verloren haben, sagen mir, dass man sowieso nie ganz aufhört, zu trauern. Es ist wohl so, dass die Trauer nun einfach mit dazu gehört. Ist nicht instagramable, aber das Leben.

Ihr seid nicht alleine!

Und zuletzt doch noch ein Kalenderspruch: There is Beauty in Everything. Ich weiß jetzt, dass man auch in den schwersten Zeiten Geschenke erhält und dankbar sein kann. Für mich ist es die Gewissheit, sehr gute Freunde zu haben, von meiner Familie geliebt zu werden und auch die überwältigende Anteilnahme von so vielen von Euch. Ich bin so dankbar, dass ich meine Mutter verabschieden konnte und dass wir alle diese Krankheit heil überstanden haben.

Allen, die gerade Ähnliches erleben, sende ich an dieser Stelle gute Gedanken, Kraft und Liebe. Ich weiß, was Ihr durchmacht. Ihr seid nicht allein. Wir sind sehr, sehr viele Menschen, die gerade mit schweren Themen  kämpfen.

Danke fürs Lesen und Teilhaben, Ihr Lieben. Wenn Ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt, freue ich mich wie immer auf den Austausch!

Wenn Ihr jemanden kennt, dem es gerade ähnlich geht, teilt den Beitrag gerne!

Foto: Meine Mutter mit ihrem ersten Enkel, unserem Sohn.

 

Frau Mutter folgen

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