Kinder brauchen Regeln, Kindern brauchen Struktur und natürlich das beliebte: Als Eltern muss man sich immer einig sein. So lautet der niemals alt werdende Dreiklang aller selbst ernannten Erziehungsratgeber. Eltern lernen sich jedoch als Individuen kennen. Sie erleben Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett gemeinsam als Individuen. Auch erleben sie die Veränderungen zu Hause sowie in der Arbeitswelt ganz unterschiedlich. Warum sollten sie plötzlich vor dem Kind zu ein und derselben Person verschmelzen? Kolumnist Johnny hat da mal ne Meinung zu.
Nein, ich bleibe auch als Vater ich selbst!
Einigkeit in der Erziehung mit Gebrüll?
Um sich stets einig zu sein, müsse man sich unentwegt absprechen, damit das Kind absichtlich den einen gegen den anderen Elternteil ausspielen könne. Das gäbe dem dann Halt. In der Praxis sind meine Freundin und ich uns nicht immer so wirklich einig darüber, was jeweils die richtige Verfahrensweise sei, wenn sich das Kind zum Beispiel morgens mal wieder die Winterstiefel über die Hausschuhe ziehen will.
Sich immer einig sein. Das soll es angeblich einfacher machen -denn dann wollen ja alle das gleiche. Also bis auf das Kind, das will sich immer noch die Hausschuhe über die Stiefel ziehen. Und quittiert die Unmöglichkeit seines Ansinnens mit dem nötigen Gebrüll. Toll.
Grundlegende Übereinkunft
Meine Freundin und ich, wir kommen aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen. Sie wuchs gemeinsam mit ihrer Familie in einem Haus auf. Meine Mutter war alleinerziehend und manchmal hatten wir nicht einmal eine eigene Wohnung, in der wir hätten bleiben können. Beides stellt seine ganz eigenen Herausforderungen an das heranwachsende Kind.
Bei allen Unterschieden: Es sind ausschließlich grundlegende Dinge, bei denen wir uns dann aber schon sehr früh schon einig waren – noch bevor das Kind auf der Welt war. Dass es niemals geschlagen oder „geklapst“ werden würde. Dass wir es auch aus ganz pragmatischen Gründen vegetarisch ernähren und auf frische Nahrungsmittel achten würden. Dass es auf jeden Fall gestillt werden würde, sofern es denn möglich wäre. Dass Fernsehen keine Rolle im Alltag spielen würde.
Darüber hinaus kann es auch schon mal Diskussionen geben – die in aller Regel aber eigentlich zu keinem Ergebnis führen.
Für mehr individuellen Freiraum
Ich bin davon überzeugt, dass meine Tochter als mittlerweile Zweijährige sehr wohl wissen darf, dass Mama und Papa zwei völlig unterschiedliche Personen sein können. Ich betrachte das im Zweifel als Gewinn und nicht als erzieherischen Notstand. Im übrigen sieht einer der renommiertesten Erziehungsratgeber Jesper Juul das auch so.
Solange wir also nicht vom Weltfrieden, der deutschen Nationalhymne oder der Pizzabestellung sprechen, gilt: Nicht die Einigkeit ist entscheidend, sondern vielleicht ist’s die Konsequenz.
Oder besser: die Berechenbarkeit der Regeln. Auch die Art, wie Ausnahmen kommuniziert werden, sollte einigermaßen nachvollziehbar bleiben. So ganz theoretisch.
Und in der Realität?
Das schreibt sich natürlich leichter, als dass es in die Tat umzusetzen ist. Wenn meine Tochter zum Beispiel etwas tut, was sie bei Mama eigentlich nicht darf und mich währenddessen dabei anschaut.
Meine Tochter testet ihre Grenzen ausgiebiger, wenn Mama da ist. Mit mir hat sie aus unerfindlichen Gründen nicht so oft das Bedürfnis, ihre Grenzen auszuloten. Es ist auch plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Und das liegt nicht daran, dass ich ausgiebiger mit ihr tobe und ihr auch sonst mehr Freiraum gebe.
Ich glaube, das Gegenteil ist tatsächlich der Fall. Wahrscheinlich bin ich der etwas regelbedachtere und konsequentere von uns beiden. Wo sie mit ihrer Mutter noch diskutiert und bockt, weiß sie, dass sie bei mir anders ansetzen muss, um ihren Willen zu bekommen – sofern wir nicht einen Kompromiss finden.
Halten wir fest:
Mutter oder Vater zu sein heißt schlicht und ergreifend Individuum zu sein und es auch zu bleiben. Man muss auch nicht auf ein bestimmtes Rollenbild festgelegt sein. Wie man die jeweilige Elternrolle ausfüllt, ist ganz individuell. Ich bleibe der Vater, der ich sein möchte, ohne mich von der Mutter des Kindes absetzen müssen. Wenn es um unsere Tochter und ihre Erziehung geht, sehen wir vieles ähnlich – aber eben doch nicht alles.
Manchmal wünschte ich mir, dass es anders wäre. Seien wir aber mal ehrlich: das würde doch bedeuten, dass meine Freundin alles genauso machen würde, wie ich mir das vorstelle. Und dann würden wir nämlich doch wieder Einigkeit demonstrieren. Diese aber wäre weder ehrlich, noch authentisch und ich glaube sogar, je mehr individuelle Bezugspersonen meine Tochter hat, desto sicherer wird sie auch mit sich selbst.
Johnny, Museumspädagoge mit Berliner Wurzeln bloggt seit mehr als einem Jahr regelmäßig auf seinem Blog Weddinger Berg. In seinem Papablog offenbart er die satirisch ungeschönte Wahrheit über sich als Vater einer töchterlichen Urgewalt. Manchmal mit einem Augenzwinkern und immer zischend frisch. Aus dem wunderschönen Wedding, Berlin
Keine Kommentare