Gastbeiträge

Johnnys Flaschenpost: Der letzte Urlaub zu zweit bevor das Baby kommt

6. August 2015

Oliven_Langeweile

Hachz, ist das nicht romantisch? Der letzte Urlaub zu zweit, bevor das Baby kommt? Noch einmal Paar sein, die Zweisamkeit genießen und den Babybauch in die Sonne halten?

Nun, nicht immer.

Kolumnist Johnny hat heute die nervenaufreibende Geschichte zu erzählen, wie ihm seine schwangere Freundin fast mit einem südfranzösischen LKW-Fahrer durchgebrannt ist und er selbst statt Meeresluft mehrere Kubikmeter Gipspulver eingeatmet hat.

Oh, mon dieu, quelle horreur!

Es war der letzte gemeinsame Urlaub zu zweit. Meine Freundin war im vierten oder fünften Monat schwanger und wir wollten es nochmal so richtig tiefenentspannt angehen lassen, bevor sie das letzte Schwangerschaftstrimester erreichen würde. In das Land des Savoir-Vivre und Oh la la sollte es uns verschlagen – genau genommen in dessen Süden. Doch kaum eine Stunde nachdem wir in Nizza sicher gelandet waren, fand ich mich im staubigen Kofferraum eines weißen Transporters wieder und wusste weder, ob ich jemals wieder das Licht des Tages sehen würde, noch wohin wir eigentlich fuhren. Aus der Fahrerkabine dringt das Lachen meiner schwangeren Freundin an meine Ohren. Sie klingt gelöst und entspannt. Das beunruhigt mich. Werde ich am Ende vielleicht sogar entführt?

Panorama_Langeweile

Ankunft in Nizza und dann ein Bus ins Nirgendwo

Sonntag Nachmittag im französischen Hinterland. Die Geschäfte sind geschlossen, die Straßen dampfen vor sich hin und auch Menschen sucht man fast vergebens. Einige Wettbüros werben mit traumhaften Gewinnchancen, so weit ich das jedenfalls beurteilen kann. Auch ein Bioladen bietet seine frischen Waren an und ehe ich mich sortieren kann, hat meine Freundin schon eine kleine Papiertüte befüllt. Nach den Strapazen des Fluges hat sie der Hunger auf Süßes fest im Griff. Auch im Urlaub. Ihre Laune hält sich allerdings noch erstaunlich gut.

Nun, eigentlich ist fast alles so wie immer, denk ich noch, doch eine ganz bestimmte Sache, die fehlt: Ein Taxi. Ach, selbst das Bernsteinzimmer wäre leichter zu finden gewesen, als ein Taxi an einem Sonntag Nachmittag in Südfrankreich.

Mit schwindender Hoffnung belaufen wir nach dem Besuch im Bioladen die Hauptstraßen jenes kleinen Städtchens, in das uns der Bus-Express gebracht hatte. Die Planung der Anreise war meine Aufgabe und eigentlich sah im Internet alles ganz einfach aus. Weit sind wir auch nicht mehr von unserem Bestimmungsort entfernt und doch sind wir irgendwie gestrandet. Meine Freundin macht mir deswegen keine Vorwürfe – irgendetwas muss ich also doch richtig gemacht haben.

Wir beschließen, uns an die Bevölkerung zu wenden – ohne Erfolg. Die örtlichen Restaurants sind entrüstet, wenn man sie nach einem Taxi-Unternehmen fragt, schließlich sei ja heute Sonntag. Ja, selbst die örtliche Polizeidienststelle entbietet keine Hilfe, denn: Sonntags bleibt die örtliche Behörde geschlossen. Toll, wie in Südfrankreich Polizei und Verbrecher zusammenarbeiten. Und es ist ja auch nur fair, schließlich braucht jeder mal einen freien Tag. Soll man das bewundern, soll man es mit der Angst zu tun bekommen?

Die Lage wird unübersichtlich. Auch deswegen, weil die örtliche Polizei nicht bloß Hort der Auskunft gewesen wäre, sondern sicherlich auch mit sauberen Toilettenräumen hätte aufwarten können. Eine besonders für schwangere Frauen wichtige Einrichtung, wie ich gelernt habe. Ja, sogar beinah wichtiger als alle Bernsteinzimmer dieser Welt zusammen. Die Lage spitzt sich langsam zu. Die Freundin greift Halt suchend noch einmal in die Papiertüte.

Über kommunikative Irrwege erreichen wir schließlich einen Freund der Familie, der versichert, er könne uns trotz sonntäglichem Totentanz aus dem Horroridyll abholen. Panik vorerst abgewehrt. Geistesgegenwärtig frage ich meine Freundin, ob jener Familienfreund eigentlich wisse, dass sie nicht allein, sondern in meiner Begleitung unterwegs sei? Schulterzucken, keine Antwort. Bis heute ist mir nicht ganz klar geworden, weshalb ich diese Frage überhaupt gestellt habe? Meine dunkle Ahnung aber sollte sich schon bald als sehr real erweisen.

Abend_Langeweile

Odyssee im Kofferraum

Wir stehen an einer der verschlafenen Straßen mit den viel zu schmalen Bürgersteigen, als ein zweisitziger Transporter uns passiert und zweimal hupt. Ein weißer Renault, vielleicht war’s auch ein Citroen. Ein Gefährt in einem Alter jedenfalls, in dem das Fabrikat ohnehin keinen Unterschied mehr macht und der Motor klingt, als hätte man ihn aus einer Vespa zwangsweise in ein Auto verpflanzt. Es ächzt, knattert und röhrt aus allen Beulen und Enden.

Der Freund der Familie begrüßt uns herzlich, als sich seine Miene schlagartig verfinstert. Bones, Sherlock und Dr. Who rechnen alles noch einmal durch. Drei Leute, Gepäck und ein zweisitziger Transporter. Um es kurz zu fassen, Gepäck und ich haben das Schnick-Schnack-Schnuck gegen die schwangere Freundin verloren und landen im Kofferraum des weißen Ungetüms. So also muss sich Jonas gefühlt haben, nachdem Moby Dick ihn verschlungen hatte. Dass man gegen eine schwangere Frau niemals im Schnick-Schnack-Schnuck gewinnen kann, werde ich erst einige Zeit später erkennen. Noch aber bin ich nicht so weit.

Ich sitze hinten auf der Ladefläche. Es ist staubig und ich halte mich am Koffer fest, der seinerseits aber auch kaum Halt findet. Mir wird ein wenig übel. Die in Frankreich beliebten Kreisverkehre erweisen sich in meiner Situation als wenig hilfreich. Auch die französisch-sportliche Fahrweise des Freundes lässt jede Kurve zu einem ganz besonderen Erlebnis werden. Aus der Fahrerkabine höre ich die vertraute Stimme meiner Freundin. Sie klingt gelöst und manchmal scheint es, mache der Fahrer einen Scherz. Ich wünschte mir, er würde stärker auf den Verkehr achten, als mit meiner Freundin zu schäkern. Warum spricht sie nicht zu mir und fragt, wie es mir dahinten eigentlich geht? Oder lachen sie vielleicht über mich? Ist das vielleicht gar kein Urlaub, sondern ein besonders perfides Komplott, um mich loszuwerden? Man hat viel Zeit für solche Gedanken, wenn man hilflos auf einer Ladenfläche kauert.

Dann bleiben wir abrupt stehen, französische Flüche erfüllen das Gefährt. Abermals ein abruptes Bremsen. Auch meine Freundin scheint sich in die Szene einzumischen. Ich hoffe, dass Baby hört nicht so genau hin, wahrscheinlich versteht es aber ohnehin kein Wort Französisch. Ob wir denn bald da sind? Gerne würde ich meiner Freundin schreiben, leider hat sie aber kein französisches Netz. Ihre Stimme jedenfalls klingt, als wären leichte Übelkeit und fehlende Toiletten überhaupt kein Problem mehr. Oder ist das nur die Ruhe vor dem Sturm? Ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Der Geruch von Kalk macht das Denken im Verlauf der Fahrt kaum einfacher. Neben mir steht ein halb voller Sack mit Gips und staubt bei jedem Richtungswechsel vor sich hin. Daneben liegt undefinierbares, elektrisches Gerät. Gut, dass ich heute meine schwarze Hose angezogen habe. Sollte man mich hier vergessen, dann kann ich immerhin noch eine schöne Gips-Skulptur aus mir machen und wäre trotzdem noch stylish gekleidet. Wie schön.

Jedem Familienurlaub wohnt ein Schrecken inne

Nach nicht genau definierbarer Fahrtdauer und mit ein bis zwei Schweißausbrüchen in den Knochen, werden die Geräusche, die von draußen in den Kofferraum dringen, langsam leiser. Fahren wir in einen Wald? Oder auf ein einsames Feld? Der Motor wird abgestellt und von außen öffnet sich die Tür. Wir stehen ganz entgegen meiner Vorstellung vor unserem Feriendomizil, so scheint’s. Ich küsse vorsichtshalber den Boden unter meinen Füssen und suche dann aber doch lieber schnell das Weite. Nach wenigen Schritten bleibe ich stehen. Wie clever, denke ich noch. Wenn meine Freundin und ich uns hier streiten sollten, dann hätte ich keinen blassen Schimmer davon, wo ich überhaupt wäre.

Ich entlade das Gepäck und gemeinsam verabschieden wir uns von unserem französischen Rallye-Kutscher. Während ich noch mit mir und den frischen Erfahrungen des Verladenwerdens ringe, scheint meine Freundin schon ganz auf Urlaub eingestellt. Ich versuche, mit dem Gepäck unterm Arm Schritt zu halten und betrete unser neues Zuhause für die nächsten zwei Wochen. Vielleicht wäre das Wort „Kur“ nun passender, aber das behalte ich erst einmal für mich. Nach dem ersten Sprung ins kalte Wasser noch am selben Abend fällt die Anspannung dann auch von meinen Schultern langsam ab.

Trotz des anfänglichen Debakels, von dem meine Freundin erstaunlich unberührt scheint, werden die anschließenden Urlaubstage dann aber doch noch sehr schön. Sonne, Wasser, Berge. Alles so schön, dass es fast schon obszön langweilig wäre, es hier niederzuschreiben. Für den Rückweg entscheide ich allerdings noch am ersten Tag, dass es vielleicht doch besser wäre, die Bahn zu nehmen. Meine Freundin stimmt zu, auch wenn ihr Gesicht verrät, dass sie keinen blassen Schimmer hat, warum es mir so wichtig ist. Und da wir ja nun endlich im Urlaub sind, ist die Zeit ohnehin viel zu kostbar, um sich über solche Kleinigkeiten zu streiten.

Das war meine schrägste Urlaubserfahrung der letzten Zeit. Eigentlich erstaunlich, dass ich sie hier zum ersten Mal aufgeschrieben habe. Seitdem waren wir immer nur auf Familienbesuch, was noch einmal eine ganz eigene Form von „Urlaub“ wäre. Vielleicht berichte ich euch mal davon.. wenn ich soweit bin.

Tiefenentspannt,
Euer Johnny

WB-Profilbild

Johnny, Museumspädagoge mit Berliner Wurzeln bloggt seit mehr als einem Jahr regelmäßig auf seinem Blog Weddinger Berg. In seinem Papablog offenbart er die satirisch ungeschönte Wahrheit über sich als Vater einer töchterlichen Urgewalt. Manchmal mit einem Augenzwinkern und immer zischend frisch. Aus dem wunderschönen Wedding, Berlin.

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