Unverkrampfte Aufklärung ist so eine Sache. Früher als Kind, fand ich immer komisch, wenn meine Eltern rumdrucksten. Es ist nicht einfach mit dem eigenen Kind darüber zu sprechen, spätestens wenn die Frage kommt „Macht Ihr das auch?“ Meine Gastautorin Sandra schreibt heute darüber, wie ein unverkrampfter Ansatz zum Thema Sexualität gelingen kann und das dies auch sehr wohl zur Erziehung dazu gehört. Viel Spaß bei ihrem Text!
„Mama, woher kommen eigentlich Babys?“
„Aus dem Bauch der Mamas!“
„Und wie kommen die dahin?“
Das sind die Fragen, die Eltern den Angstschweiß auf die Stirn treiben oder zumindest einen ratlosen Blick entlocken, weil sie dann mit der Frage nach pädagogisch wertvoller Aufklärung konfrontiert sind.
Unverkrampfte Aufklärung fängt damit an, die Sache beim Namen zu nennen
Aufklärung fängt ja bekanntlich schon mit der Nomenklatur der äußeren Geschlechtsmerkmalen an. Dem Erfindungsreichtum der Eltern sind da keine Grenzen gesetzt, aber ich frage mich, wie bitte sollen meine Kinder einen unverkrampften Umgang mit ihrem Körper lernen, wenn sie ihre Genitalien Mäuschen oder Würmchen nennen sollen? Gar nicht? Weshalb ich von Anfang an bei meiner Großen für die Geschlechtsteile zwar verniedlichte Namen wie Pipimü und Pipimann benutzt habe (die immerhin einen Bezug zu einer der Funktionen des Gerätes haben), aber auch schon recht früh erwähnte, dass sie eigentlich Scheide und Penis heißen.
Dementsprechend erscheint mir die Bienchen-und-Blümchen-Version für den Akt auch viel zu albern. Als meine Tochter vier ist, muss ich mir also was anderes ausdenken und mogele mich mit der biologischen Variante durch. Ich erkläre meiner Vierjährigen etwas von einer weiblichen Mama-Zelle, die alle Frauen im Bauch haben, und der männlichen Papa-Zelle, die miteinander verschmelzen, also zu einer Baby-Zelle werden. Und die teilt sich dann gaaanz oft, so dass irgendwann aus diesen vielen, vielen Zellen ein Baby wird. Denn jeder Mensch besteht ja aus gaaanz vielen Zellen. Diese Erklärung ist so abstrakt, dass meine Tochter nur großäugig nickt und vorerst zufrieden ist.
Irgendwann geht’s ans Eingemachte: Und ja man kann „es“ einfach so erklären
Als sie sechs Jahre ist und ich mit ihrem heiß ersehnten Geschwisterchen schwanger bin, hat sie an der Geschichte mit den Zellen allerdings den Haken gefunden. „Mama, wie kommt denn die männliche Zelle überhaupt in deinen Bauch?“
Mist! Jetzt geht’s ans Eingemachte. Ich denke kurz nach, ob sie für die Penis-in-Scheide-Variante noch zu klein ist. Ach was, jetzt oder nie …
„Iiiih!“, sagt sie angewidert, aber für Zweifel meinerseits ist es jetzt zu spät. Trotz Ekel fasziniert sie die Geschichte so, dass sie am Mittagstisch meiner zukünftigen Schwiegerfamilie – sehr christlich und eher prüde eingestellt – gleich mal fachmännisch erklärt, dass sie genau weiß, wie das Baby entstanden ist. „Der Christian hat nämlich seinen Pipimann in Mamas Pipimü gesteckt.“ Die Familie lacht höflich.
Und wie redet man mit Teeangern darüber, dass „es“ bei uns noch passiert?
Einen pubertierenden Teenager aufzuklären ist eine ganz andere Nummer. Mittlerweile findet sie den Akt nicht mehr eklig – dem Biologieunterricht sei dank. Sie ist inzwischen auch so oft akustischer Zeuge desselben geworden (das nächste Haus hat dickere Wände – garantiert!), dass sie es als total normal akzeptiert, dass erwachsene Menschen regelmäßig Sex haben. Und – hoffentlich – ist es für sie auch normal, dass so etwas durchaus Spaß macht.
Doch jetzt will sie natürlich alles wissen, von unseren Lieblingsstellungen, Verhütung, wie das erste Mal war, was ein Orgasmus ist, wie der sich anfühlt, und so weiter und so fort … Es ist vielleicht sogar meine Stärke, unverkrampft über Sex zu reden und ehrlich gesagt, genieße ich es, ihr einen Teil meines Erfahrungsschatzes mitzugeben. Andererseits befürchte ich, dass ich zu früh zu viel erzähle und zu viel persönliche Vorlieben, Meinungen, Einschätzungen etc. einfließen lasse. Die Informationen sollen ja schließlich möglichst neutral sein, damit Raum bleibt für ihre eigenen Erfahrungen.
Und zuviel Bettgeflüster aus dem elternlichen Sexalltag darf es auch nicht sein, denn ich selbst fand es als Jugendliche eher abschreckend bis verstörend, etwas über den Sex meiner Eltern zu erfahren.
Überhaupt ließ die Aufklärung in den Siebzigern eher zu wünschen übrig. Als ich 12 Jahre war, zerknüllte meine Mutter meine Zeichnungen von Frauen mit halb entblößten Brüsten, die ich in meinem Schreibtisch offenundig schlecht versteckt hatte, mit den Worten: „Du kannst froh sein, dass der Papa diese Schweinerei nicht gesehen hat!“ Mein Vater hat eigentlich immer nur gegiggelt, wenn es um Sexthemen ging, was auch nicht half.
Aufklärung ist auch Erziehung!
Meine Tochter ist mit ihrem Körper pari und da bin ich ehrlich gesagt froh, werte ich es doch als kleinen Erfolg meiner bisherigen Aufklärungsarbeit.
Wenn ich Ihr jetzt noch erfolgreich vermittle, dass:
⁃ Sexualität etwas ist, dass nur dann Spaß macht, wenn beide das tun, was sie wirklich wollen, und
⁃ Sex etwas Intimes und Persönliches zwischen zwei Menschen ist, also eher nicht zu den Dingen gehört, die man danach auf Facebook postet,
dann – check – habe ich meinen Aufklärungsauftrag wohl erfüllt und der erste Freund kann kommen…
Sandra S., 40, lebt mit Mann und Töchtern in Kiel. Sie dreht “ehe-technisch” bereits die zweite Runde, wirkt oft bei Poetryslams mit und schreibt außerdem Kurzgeschichten. Wenn sie nicht gerade textet, das Meer oder ihre Familie genießt, singt sie mit Leidenschaft und Inbrunst. Bei Frau Mutter ist sie die Expertin für die körperliche Liebe oder was das ist, “wenn Mama und Papa sich ganz doll lieb haben.”
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