Familienalltag mit Humor

Die Krisen unserer Kindheit: Was das alte Tagebuch uns heute erzählt

25. März 2020

In Woche zwei der Corona-Krise saß ich mit meiner Tochter draußen in der Sonne. Ich machte zwischen „homeschooling“ und „homeofficeing“ und „haushalting“eine Pause. Sie schrieb derweil in ihr Tagebuch, das ich ihr zu ihrem neunten Geburtstag geschenkt hatte. „Was schreibst Du denn Schönes, mein Schatz?“, fragte ich sie.

„Ich schreibe über Corona.“

Puh. Mir wurde bewusst, dass unsere Kinder das alles genau mitbekommen. Nicht nur durch die Schulschließung, schon Wochen davor war Corona auf dem Pausenhof und auch am Abendbrottisch Thema Nummer 1.

Tagebuch-Eintrag der Tochter: „Corona“

Wir sind als Familie 24/7 zusammen. Sie hören uns darüber reden, unsere Sorgen, unsere Hoffnungen.

„Wuhan“, „Herr Drosten“, „in die Armbeuge niesen“- sind geläufige Vokabeln gerade. Auch wenn wir viel mit unseren Kindern sprechen und versuchen, Geborgenheit, Sicherheit und business as usual zu vermitteln- sie machen sich trotzdem ihre ganz eigenen Gedanken und müssen diese in Form von Tagebuch oder Telefonaten mit Freunden verarbeiten. Sie wirken sehr widerstandsfähig und weiterhin glücklich- aber spurlos geht die Corona-Krise an keinem vorbei- auch an keinem Kind.

Eine Kollegin sagte letzte zu mir, dass wir vielleicht nicht mehr über die Generation Z reden werden, sondern über die Generation Corona. Tatsächlich prägen uns die Krisen, die wir erleben.

Als Kleinkind habe ich mich vor den RAF-Fahndungsplakaten im Metzgerladen gefürchtet.

Ich kann mich sehr gut an 9/11 erinnern, wo genau ich davon erfahren habe, sogar wo ich saß und mit wem ich gesprochen habe- und ich erinnere mich an meine große Angst vor einem Krieg.

Tagebuch-Eintrag von mir: „Tschernobyl“

Mein Tagebuch von 1986 bis 1989 habe ich aufgehoben und in diesen Tagen mit meiner Tochter darin geblättert.

Ich fand diesen Eintrag vom 26. April 1986

“ Heute ist ein Atomkraftwerk explodiert und jetzt ist die Radioaktivität bei uns. Wir dürfen jetzt kein Gemüse mehr essen und keine Frischmilch mehr trinken. Meine größte Angst ist, dass Strolchi (mein damaliger Hund) und ich jetzt an Krebs sterben werden, weil ich gestern mit ihm im Regen spazieren war. Keiner sagt uns was. Vielleicht ist das ja der Weltuntergang….“

Meine Mutter hat uns noch Jahre danach mit „famosem Zartgemüse aus der Dose“ ernährt, aber ob Tchernobyl daran Schuld war? Vielleicht auch einfach die 80er Jahre.

Es ist bedrückend, das nach so langer Zeit zu lesen und meine kindliche Angst wieder zu spüren. Ich frage mich: Finden wir jetzt als Erwachsene die richtigen Worte? Ich möchte nicht, dass meine Tochter das später als Erwachsene in ihrem Tagebuch liest:

„Corona- und keiner sagt uns was.“

Das sind belastenden Gedanken und ich frage Constanze, was sie denn sonst noch so in ihr Tagebuch geschrieben hat. Sie lächelt geheimnisvoll. „Noch was von Liebe.“

Das erleichtert mich, denn nur zwei Seiten nach dem „Tschernobyl-Eintrag“ in meinem alten Tagebuch finde ich diese tiefsinnigen Worte:

„Heute hat Martin H. 8 Minuten mit Nicole gesprochen. Ich bin GESTORBEN. Aber dann hat er sich meinen Füller ausgeliehen. VOLL SÜSS. Ich bin sooo verknallt.“

Kinder können sich eben schnell mit Wichtigerem ablenken. Ich hoffe, die Kinder von Martin H. können das heute auch.

 

 

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