Gastbeiträge

„Ich bin Mutter. Ich bin lesbisch. Und das ist gut so.“ Über das Ankommen bei sich selbst

24. September 2015

Regenbogen Lutscher Frau Mutter Blog

Warum ist uns Frauen so wichtig, was andere über uns denken? Als Mutter potenziert sich das ja oft noch. Vielleicht, weil wir alle immer sehr schnell urteilen. Diese oder jene Mutter macht etwas anders, lebt nicht konform, stellt eventuell ihre Bedürfnisse nicht hinten an? Wenn diese Frau schon nicht mit sich selbst genug hadert, werden es die anderen für sie erledigen. Wenn man bei sich ankommen will, muss es frau egal sein, was andere sagen oder denken. Das ist gar nicht immer so einfach und erfordert Lernen.

Wie geht das bei einer Frau, die ihr Leben radikal änderte? Wie läuft der Lernprozess des „bei sich Ankommens“ dort ab? Heute erzählt uns Gastautorin Bianka, wie es für sie war, zu ihrem Selbst zu stehen. Das war in ihrem Fall sicherlich radikaler, da sie ihren klassischen Vater-Mutter-Kinder-Lebensentwurf aufgab, um mit einer Frau zu leben. Heute sagt sie: „Ich bin lesbisch und das ist auch gut so.“ Ich finde, von ihrer Erfahrung und Haltung kann man viel lernen. Auch indem, was sie ihren Kindern vorlebt und mitgibt.

Ich bin Mutter. Und ich bin lesbisch. Und das ist gut so. Beides.
Doch bis ich das so für mich selber akzeptieren konnte, war ein langer Weg. Ich habe jung geheiratet und jung Kinder bekommen, habe als Vollzeitmutter und Hausfrau drei Kinder großgezogen. Dass dieser Lebensentwurf nicht der einzige ist, den ich mir für mich vorstellen kann, kam mir erst mit Ende 20 ins Bewusstsein.

Der Umbruch war nicht leicht

Diese Zeit des Umbruchs war für uns alle natürlich nicht einfach. Für keinen von uns. Lange habe ich mein neues Ich aus Rücksicht auf Mann (und Kinder) heimlich gelebt. Was sollen denn die anderen denken, hatte er gefragt. Und mir damit das Gefühl gegeben, ich dürfe nicht sein, wie ich nun mal bin. Dieses „Was denken die anderen von mir?“ sitzt tief in einem drin und macht einem Angst vor dem, was die anderen vielleicht denken könnten. Es ist tatsächlich ein Gedanke, der mich bis heute ab und an wie ein Schreckgespenst überfällt. Heute kann ich ihn wegwischen, mir ist nicht mehr übermäßig wichtig, was die anderen denken. Aber lange Zeit hat mich dieser Gedanke nahezu täglich begleitet.

Bis mir irgendwann ein Zitat von Eleanor Roosevelt über den Weg lief: „Do what you feel in your heart to be right- for you’ll be criticized anyway. You’ll be damned if you do, and damned if you don’t.” (Mach das, was dein Herz richtig findet, denn kritisiert wirst du eh. Du wirst verdammt, wenn du es tust und ebenso verdammt, wenn du es nicht tust.) Dieser Spruch kam wohl genau zur richtigen Zeit in mein Leben und war für mich ein totaler Augenöffner, denn genau so ist es. Man kann es nicht allen Menschen recht machen, denn man wird entweder von der einen oder von der anderen Seite kritisiert. Also bleibt als Ausweg wohl nur, es sich selbst recht zu machen und die Dinge zu tun, die sich im eigenen Herzen richtig anfühlen.

Gedanken sind Schreckgespenster

Heute denke ich oft, dass wir uns als Mütter einfach zu viele Gedanken machen, was „die anderen“ über uns denken. Steht mir diese Bluse? Was werden die anderen sagen, wenn ich heute ungeschminkt ins Büro komme? Was sollen denn nur die Nachbarn denken, wenn unser Garten so zuwuchert? Aber mal ehrlich, ist das denn wirklich wichtig? Mir ist in den letzten Jahren immer mehr bewusst geworden, dass es wichtiger ist, auf mein eigenes Denken zu achten. In den entscheidenden Momenten kommt mir Eleanor Roosevelts Spruch in den Sinn und begleitet mich auf meinem ganz eigenen Weg. Nur wenige Dinge werden, wie man so schön sagt, so heiß gegessen, wie sie gekocht werden. Und vieles, was im ersten Moment wie eine große Katastrophe scheint, ist im Nachhinein gar nicht so schlimm, wenn sich erst einmal die erste Welle gelegt hat.

Was die Kinder lernen können

Ich versuche natürlich, genau das auch meinen Kindern zu vermitteln. „Hört auf das, was eure eigenen Gedanken euch sagen. Lasst euch nicht davon beeinflussen, was andere „erwarten“. Wichtig ist, dass ihr glücklich seid.“ Gar nicht so einfach, das in das Denken und Fühlen eines Teenagers reinzubekommen. Teenager sind ja ständig nur am Rumtüdeln, was „die anderen“ von diesem oder jenem… Ich versuche es trotzdem tapfer weiter und lebe es ihnen auch vor. Natürlich in einem gewissen Rahmen, nicht umsonst sagt man ja auch, dass die Freiheit des einen da endet, wo die Freiheit des anderen anfängt. Klar muss man auch darauf achten, seine Mitmenschen nicht zu übergehen oder, noch schlimmer, zu verletzen. Trotzdem ist es wichtig, sein Leben an seinen eigenen Bedürfnissen zu orientieren und sich nicht zu verstecken aus Angst, dass andere dann schlecht über einen denken. Oder reden.
Es ist auch für mich manchmal schon noch ein ungewohntes Gefühl, mit meinen drei Kindern und meiner Frau (ich sage „meine Frau“ zu ihr, auch wenn wir nicht verheiratet oder verpartnert sind) als Familie irgendwo öffentlich aufzutreten. Ich selber habe einfach auch viel zu lange das klassische Mutter-Vater-Kind-Modell gedacht und gelebt. Spannenderweise scheint unsere Umwelt nur wenig Probleme mit unserem Familienmodell zu haben. Und das, obwohl wir wirklich sehr ländlich leben. Unser Dorf ist so klein, das hat nicht mal einen Laden, in dem man Lebensmittel kaufen könnte!

Und die Kinder? Die lieben ihre zweite Mama, auch wenn es natürlich trotzdem – in der Schule oder so – manchmal sicher noch komisch ist, unsere Familie öffentlich zu zeigen oder darüber zu erzählen. Aber, auch wenn man es nicht glauben mag, wir leben vermutlich spießiger als so manche Hetero-Familie. Da ist nichts Glitzerndes und Schillerndes am Regenbogen-Alltagsleben.

bianka

Bianka bloggt seit vielen Jahren – mehr oder weniger regelmäßig – über Attachment Parenting und auch sonst so hier und da im Netz. Sie ist nicht nur dreifache Mutter und Bloggerin, sondern auch noch Autorin, Lektorin, Übersetzerin und Social Media Managerin – eben ein richtiger Tausendsassa. Und lebt – ganz spießig mit Haus und Garten in einem winzigen Dorf – in einer Regenbogen-Patchwork-Familie.

Wir freuen uns über Euer Feedback!

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7 Kommentare

  • Reply Anna 24. September 2015 at 11:49 pm

    Danke! ‚an den eigenen Bedürfnissen orientieren‘ genau daran musste ich grad erinnert werden! <3

  • Reply Dajana 25. September 2015 at 7:18 am

    Wenn alle wüssten, wie spießig das Leben unterm Regenbogen ist, würden sie sich wundern 😉
    Frau, Familie, Anderssein – macht Mut zu mehr! 😉

  • Reply Mittsommar 1. Oktober 2015 at 10:14 pm

    Danke sehr!!!!
    Ich befinde mich gerade in der Phase des „mich- findens“. Habe zwei Kinder, bin NOCH heterosexuell verheiratet und habe Anfang des Jahres festgestellt, dass ich lesbisch bin.
    Der Text hat mir Mut gemacht.
    Vielen Dank und alles Gute!

  • Reply Gerhard 18. Oktober 2015 at 10:02 pm

    Herzlichen Glückwunsch und alles Gute. Wie geht es denn dem Vater? Und den Kindern in ihrer Beziehung zum Vater? Wie war das Ankommen für die? Und warum steht kein einziges Wort darüber in diesem Artikel? Ist das nicht so wichtig?

  • Reply CHRIS 1. November 2015 at 9:03 pm

    Einfach nur egoistisch! In keinem Wort wird erwähnt wie die Situation für den Vater ist/war, immerhin sind es ja auch seine Kinder. Was man hier den Kindern vorlebt, is absolute Rücksichtslosigkeit und purer Egoismus.

  • Reply Anonym 29. März 2020 at 7:57 pm

    Hallo, ich habe gezielt nach irgendetwas zu diesem Thema gesucht und bin sehr dankbar diesen Beitrag gefunden zu haben. Ich kämpfe gerade sehr mit mir selbst, weil sich in mir eine Ahnung zu einem Verdacht zu einem Bedürfnis entwickelt. Auch ich bin Ende 20, habe seit zwei Jahren eine Tochter, einen Verlobten, einen nahenden Zukunftsplan mit Haus in der Kleinstadt… Ich merke mehr und mehr, dass ich mir nur nicht eingestehe, was ich fühle, weil es bedeuten würde, dass ich mich von dieser Vorstellung von unserem gemeinsamen Leben als „heile-Welt-Familie“ verabschieden muss. Ich müsste mir eingestehen, dass der Traum, der gerade in Erfüllung zu gehen scheint, vielleicht gar nicht mein Traum ist, den ich träumen wollte. Es macht Mut zu lesen, dass es „Leidensgenossinnen“ gibt, die es gewagt haben und nun glücklich mit ihrer Entscheidung zu sein scheinen.
    Ich mache mir gerade viele Vorwürfe im Voraus selbst: Hättest du das nicht früher wissen und sagen können? Warst du nie ehrlich zu dir und zu ihm? Warum warst du zu feige es dir und anderen einzugestehen? Je länger du wartest desto schwieriger wird es doch für alle! Was wenn ich mich täusche und es dann aber kein zurück mehr gibt? Ist das nur meine Sexualität und wenn ja warum kann ich das nicht einfach unterdrücken? Was wenn ich das alles aufgebe und dann für immer einsam oder unglücklich verliebt bin? Komme ich damit klar, wenn mein Partner eine neue Partnerin findet und diese dann mit meinem Kind den Alltag erleben darf, den ich jetzt aufgeben würde?
    Tatsächlich vermisse auch ich in dem Beitrag, wie es dem Vater bei alledem erging und wie sich die Zukunft für/mit ihm gestaltet. Ich verstehe aber, dass es dir eben um etwas anderes ging, hier steht nunmal das „Ankommen bei sich selbst“ im Mittelpunkt. Dieses „Was sollen denn die Leute denken“ zeigt mir zwar bereits, dass er ganz anders zu ticken scheint als mein Verlobter, denn das wird wohl kaum sein Problem sein. Doch es zerbricht mir das Herz, wenn ich daran denke, was ich ihm antun würde, wenn ich mich traue und so stelle ich mir eben immer wieder die Frage, mit der Freiheit, die dort aufhört, wo sie andere verletzt: Welcher Schaden ist größer: Der den ich meiner kleinen Familie zufüge wenn ich mich traue oder der, den ich mir zufüge, wenn nicht. Würde letzteres bedeutet, dass ich nicht bei mir ankomme oder kann ich in dieser Angelegenheit auf einem anderen Weg zu mir finden, der anderen nicht schadet?
    Das alles hier zu schreiben ist gerade das erste Mal, dass ich es überhaupt wage, es mir selbst gegenüber sozusagen auszusprechen. Also danke dafür und für das Wissen, mit diesem „Problem“ nicht alleine auf der Welt zu sein.

  • Reply Anonym 29. März 2020 at 9:15 pm

    Wieder ich. Soeben bin ich auf diesem tollen Blog auch auf den anderen Gastbeitrag von Bianka gestoßen und habe Antworten bekommen. Nur woher weis man, auf welcher Wolke man gerade ist und ob es bald wieder hoch oder weiter runter geht? Wenn das Glück so leicht messbar wäre, das würde einiges leichter machen. Aber wenn man es weiß, dann weiß man es wahrscheinlich einfach…auf diesen Moment warte ich noch.

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