Vor ein paar Tagen bekam mein Sohn Sebastian sein Halbjahreszeugnis. Vor diesem Tag hatten wir alle ein bisschen Bammel, denn im letzen Jahr stand noch der Satz „Versetzung gefährdet“ im Raum. Mein Sohn hat eine deutliche Rechenschwäche und nach dem letzten Zeugnis ging die Odyssee los. Schulpsychologischer Dienst, viele Tests, eine Lernförderung finden. Das waren anstrengende Monate für uns alle, immer mit der Frage verbunden: Was ist richtig für meinen Sohn? Welche Lerntherapie oder Lernförderung kommt überhaupt in Frage? Und vor allem: Was ist das richtige Maß? Drillen und unnötig Druck aufbauen wollten wir nicht, aber das Rechnen muß ja nun auch gelernt werden.
Wir haben schnell gemerkt, dass zu Hause üben eine absolute Katastrophe war und ist. Auf beiden Seiten war die Geduld nicht da. Lediglich das Einmaleins haben wir zu Hause geübt. Auf Empfehlung der Klassenlehrerin fanden wir schließlich eine Lerntherapeutin. Ein echter Lottogewinn! Das Wichtigste: Beide mögen sich und die Chemie stimmt! Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wichtig das in meiner „Mathe-Karriere war“. Der richtige Lehrer oder Nachhilfelehrer war fast die halbe Miete. Obwohl man eigentlich von keiner „Karriere“ sprechen konnte… Ich habe in der Schule irgendwann aufgegeben, was Mathematik anging, aber nicht so mein Sohn!
Er hat einfach immer weiter gerechnet und geübt, obwohl es sehr mühsam für ihn ist. Natürlich hat er auch nicht immer Lust, was klar ist. Trotzdem hat er vor ein paar Wochen auf die Frage, was denn sein Lieblingsfach sei, geantwortet: „Mathe“. Mir ist fast die Kinnlade herunter gefallen. Das ist für mich eigentlich das beste Zeugnis; das er nicht aufgegeben hat und das Rechnen ihm dank Therapeutin und Klassenlehrerin sogar Spass macht.
In Berlin sind Noten in der dritten Klasse noch fakultativ und so saßen wir letzte Woche in einem „Zeugnisgespräch“. Lehrerin und Sebastian an einem Tischende, Mama und Papa am anderen. Mein Sohn fing plötzlich an, in sehr gewählten Worten über seine Lernfortschritte zu berichten. Hier fiel mir zum zweiten Mal die Kinnlade herunter. „Ich denke, ich konnte mich in Rechtschreibung in der letzten Zeit verbessern, aber müsste mich noch mehr im Unterricht melden“ Hä? What? Wer ist das? Mein Sohn, der zu Hause immer noch am liebsten Pupswitze reißt?
Ich war so gerührt, dass ich ständig feuchte Augen bekam. Weil ich mich so gefreut habe über den Inhalt des Zeugnisses, aber auch, weil mein Baby ja so groß ist! Selbsteinschätzung, Ziele! Und eben hat er noch in die Windeln gemacht. Aber das ist lange vorbei.
Am Ende des Gesprächs sagte die Lehrerin zu uns Eltern: „Und nun könnt Ihr Euch auch mal auf die Schulter klopfen, das habt Ihr alles ganz richtig gemacht.“ Mein Rührseligkeits-Heulkrampf war zu diesem Zeitpunkt kaum noch zu vertuschen.
Als Belohnung für sein Zeugnis, was ja eigentlich eher ein Gespräch war, hat sich mein Sohn einen Kalligraphie-Füller gewünscht. Fürs Gedichte schreiben. Hach. Fürs Erste bin ich zuversichtlich und zufrieden.
Das Thema Zeugnisse hat auch meine Kolleginnen Anna von Berlin Mitte Mom und Gabriele von Motherbook beschäftigt.
Fotos: Das war Sebastians „Selbst-Evaluations-Formular“. An Rechtschreibung müssen wir auch noch ein klitzekleines bisschen arbeiten. Aber er ist ein Profi, so viel ist klar.
4 Kommentare
das klingt doch gut. Von der dritten Klasse sind wir noch entfernt. Manches Mal wird aber ja schon in der ersten Klasse mit Lernförderung etc. übertrieben. Immerhin ist die Klassenlehrerin unserer Jungs sehr verständnisvoll und möchte auch, dass alle Kinder erst einmal „ankommen“. Wir sind gespannt.
Hallo Sven,
ja klar. Übertreiben ist nie gut. In unserem Fall mussten wir aber doch professioneller rangehen. Es ist schön, wenn es auch „ohne“ klappt. Viele Grüße Nina
Ich freue mich unheimlich für euch und euren Sohn! Er scheint ein ganz bemerkenswerter Junge zu sein. Ich werde gleich spätere Artikel lesen… mich interessiert wie es weiterging. Ich bin zwar selber keine Mama, aber leidenschafltiche Tante. Meine Nichte hat Mathe gehasst. Auch von ihren Eltern wollte sie sich nicht zum Üben bringen lassen. Dann habe ich einen Artikel dazu gelesen, dass man mal weg von den Schulbüchern soll. Kinder sind heutzutage ganz fasziniert von Elektronik. Also habe ich meine Nichte mal an den PC gesetzt und sie bei einer Seite namens gut-erkleart etwas üben lassen – und siehe da: Plötzlich wurde ohne Murren geübt. Ich hoffe diese Begeisterung bleibt bestehen, denn die Kleine wechselt sehr oft und schnell ihre Meinung – auch zu meinen Makkaroni! 😉