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„Die Kleinfamilie scheitert und Mütter leiden“: Interview mit Mariam Tazi-Preve

27. November 2017
die kleinfamilie scheitert

Die Kleinfamilie scheitert- ist das frevlerisch oder einfach nur eine sachliche Bestandsaufnahme? Bei den hohen Scheidungs- und Trennungszahlen kann man sich vielleicht schon mal fragen, ob das Modell der Kleinfamilie so erfolgreich ist. Insbesondere für uns Mütter, die wir unter hohem Stress versuchen, finanzielle Unabhängigkeit, eine Partnerschaft und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen.

Ich bin eigentlich keine Revoluzzerin und Kapitalismus-Kritikerin, aber das neue Buch der Politologin Prof. Dr. Mariam Irene Tazi- Preve: „Vom Versagen der Kleinfamilie- Kapitalismus, Liebe und der Staat“ hat mich wirklich nachhaltig beeindruckt.  Ich habe es von vorne bis hinten (und mit allen Fußnoten durchgelesen) und hatte seeehr viele Aha-Momente.

Es ist sehr gutes, ein feministisches und hochpolitisches Buch, das beleuchtet, wie die Menschen an einem gesellschaftlichen (und patriarchalisch-kapitalistischen) Modell scheitern. Auch die Väter, übrigens.

Und bitte nicht gleich schreiend wegrennen, es ist ein erhellendes Buch, auch (gerade!) für Leserinnen (und Leser!) aus dem konservativen und liberalen Umfeld.

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Ich freue mich sehr, dass sich Frau Tazi-Preve die Zeit für ein Interiew genommen hat und freue mich, wenn wir euch zum Nachdenken und Mitdiskutieren anregen können.

Die Harmonie in einer Familie aufrecht zu erhalten erfordert teilweise hohen, fast übermenschlichen Kräfteeinsatz. Viele Familiengründungen scheitern, trotzdem ist das Ideal einer „heilen“ Vater-Mutter-2 Kinder-Familie ein echter Longseller, gerade auch in den sozialen Medien. Warum ist das so?

Die Definition zu Familie in (Familien- bzw. Bevölkerungs) Politik, Rechtssystem, Wirtschaft, Pädagogik, Psychologie und Medizin ist einheitlich dem der Kleinfamilie. Diese Systeme greifen ineiander und haben das Interesse, die Nachwuchsproduktion klaglos und unbezahlt aufrechtzuerhalten.

Aus der Sicht derer, die die Definitionsmacht haben, ist das Modell also erfolgreich. Wenn die Fragen anders gestellt wuerden, nämlich danach, was Familie eigentlich ist, wer die Familien-Arbeit leistet und wie es den Angehörigen dieser “kleinsten Zelle des Staates” geht, erkennt, dass der Preis der Familien-InsassInnen hoch ist. Vielfach ist es die Mutter, die letztlich alles Management um die Familie leistet, an ihr arbeitet man sich ab, wenn etwas schiefläuft. Beibehalten wird das Modell auch, weil gesellschaftlich kaum Alternativen vorgelebt werden.

Die Kleinfamilie scheitert: Was hat das mit dem Patriarchat zu tun?

Sie sagen, dass die Verquickung von (Liebes-) Ehe und Familie mit Kindern eigentlich zum Scheitern verurteilt ist. Warum?

Die Kleinfamilie baut auf falschen Vorannahmen auf, nämlich dass zwei Dinge miteinander verquickt werden, die nicht notwendig miteinander zu tun haben müssen – die lebenslange Liebesbeziehung und das sichere Aufwachsen von Kindern. Die romantische Liebe hält nachweislich nur in Ausnahmefällen lebenslang.

Und auch das Erziehen von Kindern von zwei oder womöglich nur einer Person ist viel zu wenig. Es ist also die Quadratur des Kreises und ein Scheitern vorprogrammiert. Behauptet wird aber das Gegenteil.

Die moderne Mutter quält sich oft mit Schuldgefühlen. Karriere, glückliche Kinder, eine nach x Jahren immer noch romantische Partnerschaft, dabei gut aussehen und Freundschaften pflegen.
All das muss „geleistet“ werden. Wenn das nicht aufgeht, fühlt man sich als Versager. Was kann ein Weg zu weniger (Seelen-) Stress und mehr Lebensglück für Mütter sein?

Das Patriarchat ist dann erfüllt, wenn Frauen es selber in sich tragen und weitergeben. Das ist im Falle der Mütter wirklich gnadenlos. Der permanente Druck von aussen und die Fülle an Ansprüchen und Vorschriften führen dazu, dass Frauen die notwendigerweise entstehende Frustration sowohl gegen sich selber, gegen andere Mütter bzw. gegen ihre Kinder richten. Die Lösung daraus liegt darin, dass die Mutter aufhören muss, an dieses deutschsprachige Mutterideal zu glauben, das nicht der Normalität entspricht, sondern einer Norm.

Zum zweiten muss der “Mommy War” als Mittel begriffen werden, diese Ideologie aufrechtzuerhalten, also “divide et impera” (das römische Prinzip des Teilens und Herrschens). Stattdessen ist Solidarität unter Müttern gefragt, ein nachsichtiges Umgehen miteinander, denn alle stehen unter demselben Druck. Und ein Abgehen davon, dass Familie um die Partnerschaft zentriert sein muss. Matrilineare Gesellschaften (siehe mein neues Buch “Das Versagen der Kleinfamilie”) leben andere Familienentwürfe vor.

Retten die „neuen Väter“ die Kleinfamilie?

Trotz der vielbesungenen „neuen Väter“ sind egalitäre Partnerschaften mit Kindern immer noch sehr selten. Glauben Sie eigentlich daran, dass wir irgendwann gleichberechtigt leben werden?

Schwierige Frage. Solange sich die Entwicklungen in der Wirtschaft alle Richtung Bedürfnisbefriedigung nach patriarchalen Kriterien richten (Macht, Karriere, Geld), sehe ich wenig Hoffnung, dass sich etwas ändert. Dort geht es quasi in Richtung zum Gegenteil, also ins kollektive “Nicht-Muttern” (Ausbeutung der ganzen Erde). Diesem Denken enspricht es, dass Familie als nachrangig behandelt wird und daher auch die Bedürfnisse von Kindern nicht in den Vordergrund gestellt werden.

In der Weise ist auch das Denken von Unternehmen gestaltet, dem sich der einzelne Vater nur durch aktives Handeln widersetzen kann, z.B. wenn er vor Sitzungsende das Kind abholen geht. Damit riskierte er aber Karriere bzw. Arbeitsplatz und das passiert daher selten.

Inwieweit hängt der moderne Kapitalismus mit dem „Versagen der Kleinfamilie“, sowie Sie es sehen, zusammen?

Siehe vorhergehende Frage – das ist eine Seite des Themas. Eine andere ist, dass aus Sicht der Wirtschaft in der Familie die idealen KonsumentInnen hergestellt werden, der – da notwenidgerweise in der Kleinfamilie zu kurz gekommene (nach Essen, shopping, Alkohol, Drogen) süchtige Mensch. Der Kapitalismus sorgt auch dafür, dass z.B. durch die Medien und Filmindustrie das Familienbild weiter als solches transportiert wird. Ein weiterer Punkt ist, dass das Beibehalten der Einzelhaushalte im Interesse der Wirtschaft ist, weil diese viel teurer sind als gemeinschaftliche Wohneinheiten.

Und durch die Entwicklungen am Arbeitsmarkt, auch Flexibilisierung genannt, wird (fast) jeder Arbeitsplatz prekär, zeitlich befristet etc. Das widerspricht den Bedürnissen von Kindern nach Stabilität. Und – im Wiederspruch dazu – wird durch die erhöhten Ansprüche an jede Arbeitskraft, die Kleinfamilie als Ort von Sicherheit phantasiert. Und ich halte die Debatte um Vereinbarkeit von Familie und Beruf dewegen für so problematisch, weil sie weder die Familie hinterfragt noch das Wirtschaftssystem.

Liebe Frau Prof. Dr. Tazi-Preve, herzlichen Dank für das Interview und Ihre Denkanstöße!

Der Beitrag entält einen affiliate link. Wenn Ihr das Buch über diesen Link kauft, wird das Buch nicht teurer, ich erhalte aber eine kleine Provision.

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1 Kommentar

  • Reply Bea 29. März 2020 at 8:20 pm

    Danke für das gute Interview und den Buchtipp! Über vieles konnte ich mir im Rahmen meines Studiums Gedanken machen und mich austauschen – aber plötzlich lebt man selbst in einer solchen Kleinfamilie und schwups ist alles vergessen. Der Beitrag hat mich daran erinnert, wo meine persönlichen Grenzen sind und wo mein Bauchgefühl oft stimmt, aber auch daran, was wir in unserer kleinen Familie bisher absolut richtig machen und wie besonders und schützenswert das ist. Ich muss also aus eigener Erfahrung ein Lob für einen der „neuen Väter“ aussprechen und fühle mich dank ihm nicht als diejenige, die die Familie alleine zusammenhält. Leider ist natürlich nicht gesagt, ob es uns gelingt so weiterzumachen, durch neue berufliche Wege wird sich einiges ändern, aber vielleicht muss man sich trauen, die richtigen Prioritäten zu setzen, auch wenn es der Weg mit dem größeren Widerstand ist. Ich kenne leider auch viele Familien, die die gleichen Einstellungen und Vorsätze haben wie wir, die jedoch durch das treffend beschriebene System dazu „gezwungen“ werden, in Rollenverteilungen zu leben, die sie eigentlich immer abgelehnt haben.

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