Mobbing in der Schule ist schwer zu ertragen für das betroffene Kind. Gastautorin Sandra erzählt, wie auch sie als Mutter darunter litt, welche Entscheidungen die Familie getroffen haben und wie es der Tochter heute geht.
Mobbing in der Schule nach Umzug
Mein Kind leidet! Unter der Schule, dem Leben, sich selbst aber vor allem unter massivem Dauerkopfschmerz. Zunächst dachte ich, es seien die Augen. Ein Besuch beim Augenarzt konnte das ausschließen. Dann dachte ich, es sei der Rücken, weshalb meine Tochter jetzt in osteopathischer Behandlung ist. Ohne nennenswerten Erfolg. Dann dachte ich, es seien die Hormone, die Zahnspange, die Pubertät. Was auch immer …
Doch so langsam schwant mir, dass es die Schulsituation sein muss. Nicht, dass es kein offenes Thema wäre, dass mein Mädchen in ihrer Klassengemeinschaft seit zwei Jahren Probleme hätte. Nicht, dass sie es ihren Klassenkameraden bei Eintritt in die Klasse vor gut zweieinhalb Jahren, als wir von NRW ins schöne Schleswig-Holstein gezogen sind, mit ihrer Anti-Haltung gegen die neue Schule, den neuen Wohnort, das neue Bundesland, und vor allem gegen „die Dorfdeppen, die hier wohnen“ (Zitat) leicht gemacht hätte, sie zu mögen.
Aber ist eine ablehnende Haltung gegen einen von ihr ungewollten neuen Lebensort und den damit verbundenen Schulwechsel ausreichende Rechtfertigung, meiner damals zwölfjährigen Tochter im Unterricht Essensreste auf den Kopf zu legen, Kaugummis nach ihr zu spucken, Arbeitsmaterialien wegzunehmen und die Gruppenarbeit mit ihr zu verweigern?
Ich meine nicht.
Sozialverhalten Fehlanzeige
Sind Zwölfjährige tatsächlich zu jung, sich ausmalen zu können, dass ein Schul- und Ortswechsel in diesem prägenden Alter schwer zu verdauen ist? Und sind sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um derjenigen trotzdem wohlwollend und mitfühlend zu begegnen und einen Platz in der Gemeinschaft zu geben? Interesse an dem zu zeigen, was hinter der Fassade steckt?
Ich denke zurück an Annas vorherige Schulen und komme zu dem deprimierenden Schluss, dass es nicht ausschließlich an der aktuellen Schule liegt, denn auch im vorherigen Gymnasium wurden weinende Mitschüler eher ausgelacht als getröstet und Annas Freundin nach ihrem Weggang erfolgreich aus der Klasse rausgemobbt, ohne dass ein Lehrer dagegen aktiv etwas unternommen hätte.
Natürlich habe ich meiner Tochter seinerzeit klar gemacht, dass ihr abweisendes Verhalten einer Aufnahme in die Klassengemeinschaft nicht eben zuträglich ist. Doch nach den Erfahrungen auf zwei Gymnasien in völlig unterschiedlichen Gegenden Deutschlands, frage ich mich dennoch, ob diesen Teenagern die Sozialkompetenz, wenn jemals vorhanden, verloren gegangen und welche Erziehung ihnen zuteil geworden ist.
Wieso muss erst eine Vertrauenslehrerin eingeschaltet werden, damit diese Jungendlichen damit konfrontiert werden, welche Gefühle sie bei ihrer Mitschülerin auslösen, wenn sie ihr ständig die Federmappe klauen oder sie vor der Klasse lächerlich machen? Pubertät hin, Pubertät her, junge Erwachsene sollten in der Lage, sich in die Situation anderer hinein versetzen zu können und sich ein Minimum an Sozialkompetenz bereits angeeignet bzw. durch die Eltern vermittelt bekommen haben. Für mich ist das in der Erziehung meiner Kinder selbstverständlich, doch frage ich mich ernsthaft, ob ich damit nicht einer Minderheit angehöre?
Wieder ein Schulwechsel
Jedenfalls dachte ich, mit wachsendem Alter und fortschreitender Reife aller Beteiligten würde sich das Einsiedlerdasein meiner Tochter auflösen und sie würde mit den anderen warmwerden. Sie hat es geschafft und sich mit eiserner Stärke ihren Platz in der Gemeinschaft erkämpft. Und sie hat es entgegen allen Widrigkeiten geschafft, ihre Klasse und jeden Einzelnen darin trotz allem zu mögen. Aber bei Gruppenarbeiten bleibt sie immer noch übrig und glücklich ist sie nicht.
Wir mussten uns also entscheiden: Motivieren wir unsere Tochter, die Zähne weiter zusammenzubeissen (denn die Noten sind auf der Schule doch soooo gut) oder lassen wir sie über den Tellerrand schauen, ob es nicht doch noch eine bessere Alternative gibt.
Wir haben uns für die Alternative entschieden, denn die Zähne zusammenbeissen muss sie noch früh genug in ihrem Leben. Wir haben ihr eine Probewoche auf einem anderen Gymnasium ermöglicht und die alleinige Entscheidung über den Schulwechsel übertragen.
Der Schulwechsel ist nun seit vier Wochen vollzogen. Es war eine schwere Entscheidung, doch sie hat sie mit aller Konsequenz getroffen. Was mich als Mutter unendlich stolz macht.
Ende gut, alles gut: Ich bin stolz auf meine Tochter!
Und der angenehme Nebeneffekt: Sie ist jetzt auf einem G9-Gymnasium und hat somit gleichzeitig weniger Lernstress, was die Stressbewältigungsmaßnahmen, die ich mit ihr in den letzten Schuljahren bereits einüben musste, jetzt überflüssig machen. Das ist nicht nur für meine Tochter, sondern auch für mich als Mutter eine große Entlastung.
Und siehe da, jetzt erlebt meine Tochter zum ersten Mal in ihrer gesamten Schulzeit Dinge, die ich mir für sie schon von der ersten Klasse an gewünscht und als selbstverständlich vorausgesetzt habe: nämlich Spaß in der Schule zu haben, den hatte ich nämlich trotz Lernstress und Pubertät. Die neuen Mitschüler interessieren sich für den Neuzugang in der Klasse. Für ihre Hobbys, für ihre Interessen, für ihre Meinung. Sie bieten Hilfe an und integrieren sie völlig selbstverständlich. Mein Bild von der grausamen Jugend heutzutage ist also auch wieder geradegerückt …
Ich erkenne seit zweieinhalb Jahren zum ersten Mal mein Mädchen wieder. So wie ich sie irgendwann vor dem letzten Schulwechsel in Erinnerung hatte. Wir alle haben an familiärer Normalität und Lebensqualität zurückgewonnen und meine Große ist um eine Erfahrung reifer, die sie gestärkt und in ihrer Entwicklung positiv beeinflusst hat.
Sandra S., 40, lebt mit Mann und Töchtern in Kiel. Sie dreht “ehe-technisch” bereits die zweite Runde, wirkt oft bei Poetryslams mit und schreibt außerdem Kurzgeschichten. Wenn sie nicht gerade textet, das Meer oder ihre Familie genießt, singt sie mit Leidenschaft und Inbrunst.
4 Kommentare
Wie schön, dass es so gut ausgegangen ist. Obwohl es natürlich sicherlich eine lange schwierige Zeit war. Als Gute weiterhin.
Danke für den offenen, aufklärenden und berührenden Beitrag. Es freut mich zu lesen, dass es gut ausgegangen ist. Mobbing gehört mittlerweile an allen Schulen und im Arbeitsleben zum Alltag. Meiner Meinung nach mangelt es an sozialen Kompetenzen, Werten und Idealen. Fast alles, was neu ist, anders ist, anders denkt oder nicht in die Norm passt wird ausgegrenzt oder zum Sündenbock. Dazu kommt der zunehmende Leistungsdruck, das ständige Funktionieren, Stress, die Schnelllebigkeit unserer heutigen Gesellschaft, es gibt immer weniger Miteinander und jeder denkt nur an sich und ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Mobbing hat so viele Ursachen! Fakt ist Mobbing macht krank, grenzt aus und zerstört Leben! Leider ist Mobbing für viele Menschen immer noch ein Tabuthema! Wichtig ist es meiner Meinung nach als einen der ersten Schritte gezielt und verpflichtend Aufklärungsarbeit über Mobbing und dessen Folgen in Schulen, Ausbildungseinrichtungen und Unternehmen zu leisten. Prävention ist das A & O! Ich wünsche weiterhin alles Gute! Gib #Mobbing keine Chance!
Man sollte möglichst früh mit „Empathietraining“ beginnen, ein Weg könnten „Morgenrunden“ in den Schulklassen sein, wie das Peter Jedlicka in seinem Buch „Empathietraining in Kindergarten und Schule“ empfiehlt ..
Sandra Kolig
Dieser Blogbeitrag sollte auch vielen Eltern von Mobbern die Augen öffnen. In Gesprächen verteidigen diese ihre Kinder noch viel zu oft und sehen es als bloße Streitigkeit unter Heranwachsenden an. Ich glaube, dass in der Erziehung nicht nur Schimpfwörter, sondern auch herabwürdigende Kommentare über andere Personen ein Tabu sein sollten. Wenn die Eltern Kollegen, Nachbarn oder Verwandte in den eigenen vier Wänden beleidigen, nehmen sich Kinder auch dieses Verhalten zum Vorbild. Hier sollte bald ein Umdenken einsetzen.