Gesellschaftsspiele scheiden die Geister: Manche lieben den klassischen „Spieleabend“, andere (zu dieser Gruppe gehöre ich), ereilt ein spontaner Fluchttrieb, wenn die Spiele ausgepackt werden. Gastautorin Sandra spielt gerne, dachte auch, sie wäre eine gute Verliererin, bis sie nicht mehr gegen ihren Mann gewinnen konnte. Was so ein harmloses Spiel alles so offenbart, darüber schreibt sie heute. Viel Spaß!
Hand aufs Herz: Wer hat sich mit seinem Mann schon mal so richtig gefetzt beim Spielen? Egal, ob Kartenspiel, Kniffel oder ein harmloses Brettspiel. Am besten noch bei einem lustigen Spieleabend mit Freunden, wo dann plötzlich Themen auf den Tisch kommen, die man vor Publikum (aka peinlich berührt dreinschauenden Freunden) eigentlich nicht erörtern wollte.
Vorsicht beim Spieleabend: Gesellschaftsspiele und ihre Tücken für die Partnerschaft
Mein Mann und ich sind bei einem befreundeten Ehepaar zum Spieleabend zu sechst eingeladen. Das eine Paar steht kurz vor der Hochzeit. Das andere Paar ist wie wir bereits mehrjährig verheiratet und hat die aufregende Flitterzeit längst hinter sich. Wir spielen Personality – ganz brisantes Spiel, fast so explosiv wie Therapie, weil es um Selbsteinschätzung geht.
Der zukünftige Bräutigam bekommt die Frage: Wie wahrscheinlich ist es (auf einer Skala von 1-10), dass du mit einer Frau, die du in der Disco kennenlernst, am gleichen Abend nach Hause gehst?Wir alle müssen einschätzen, was er wohl antwortet. Alle Männer am Tisch und ich schreiben eine 1 auf den Zettel. Die anderen beiden Frauen eine überzeugte 0. Als der Ehemann in spe seine 1 vorzeigt, ist seine Braut in heller Aufruhr. Wie sie ihm jetzt denn noch vertrauen könnte, wenn die Wahrscheinlichkeit bestünde, dass er mir nichts, dir nichts eine Tussi in der Diskothek abschleppen könnte?
„Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1!“, gibt er zu bedenken, ohne sich der Dramatik, die sich bei seiner Holden gerade entwickelt, so richtig bewusst zu sein.
Wieso denn da keine 0 stünde? Ich starte einen Beschwichtigungsversuch und erkläre, dass man doch niemals nie sagen kann und deshalb eine Restwahrscheinlichkeit von 1 immer bleiben würde, was ihr Bräutigam mit intensivem Kopfnicken bestätigt, sie aber in keiner Weise beruhigt. Er bemerkt vorsichtig und einen Tick zu leise: „Schatz, es ist doch nur ein Spiel.“
Wie passiert es eigentlich, dass Gesellschaftsspiele plötzlich zu einer Paartherapie vor Publikum mutieren? Ich habe die Streitereien anderer immer mitfühlend belächelt, denn ich habe mich mit meinem Mann (weder dem ersten noch dem zweiten) eigentlich nie beim Spielen gestritten. Spricht für eine intakte Beziehung, dachte ich altklug … und dann fing ich an, mit Gatte Nummer Zwei Canasta zu spielen.
Der Showdown kommt bei „Canasta“
Ein harmloses, aber spannendes und vor allem unvorhersehbares Kartenspiel – und endlich eins, dass mein spielfauler Mann gewillt ist, mit mir zu spielen. Ich liebe nämlich Spielen. Ich kann auch gut verlieren, weil es mir mehr um den Spaß als ums Gewinnen geht.
Der Spass am Canasta ist mir allerdings gründlich vergangen, seit mein Mann eine nicht enden wollende Glückssträhne hat, in deren Verlauf ich nicht einfach nur verliere, sondern punktetechnisch kein Bein auf den Boden kriege.
Während mein Mann die Bonuspunkte nur so einsackt und wie Puderzucker in den Hintern geblasen bekommt, tut sich ein Moloch an Boshaftigkeit in mir auf. Ich ätze und tobe, werfe Karten über den Tisch und meine Wut gipfelt darin, meinen schon in der Kindheit verwöhnten Mann und seine gesamte Familie zu beschimpfen. Ein mir bis dahin völlig unbekannter und augenscheinlich unbeherrschbarer Wesenszug entfaltet sich nun bei jedem weiteren Spiel, das er gewinnt.
Und plötzlich liegen auch bei uns neben den Karten die gesamten Ungerechtigkeiten in unserer Beziehung und überhaupt in meinem gesamten Leben auf dem Tisch. Dass ich mich immer abrackern musste und ihm ja alles in den Schoß gefallen ist. Dass ich, laut meiner Mutter, ein Unfall war und er das gewollte Nesthäkchen – der langersehnte und über alle Massen verwöhnte kleine Stammhalter (ich übertreibe natürlich …).
Die Karten werden buchstäblich auf den Tisch gelegt
Und genauso läuft´s in der Beziehung. Ich, die Macherin, er der Nehmende. Ich, die Erschöpfte, er der Erfüllte. Dass das alles nicht wirklich den aktuell realen Tatsachen entspricht und es eigentlich nur um ein lächerliches Kartenspiel geht, kann ich zu dem Zeitpunkt der Erregung schon gar nicht mehr erkennen.
Was ist es also, das Spiele so existentiell werden lässt, dass wir uns deswegen in den Haaren liegen? Eigentlich ganz einfach: Weil sie, wie auch der Straßenverkehr beim Autofahren, ein Spiegel unserer zwischenmenschlichen Beziehungen sind und uns unsere kleinen oder auch größeren Probleme in einer unverfänglichen, belanglosen Situation vor Augen führen. Dann, wenn wir eigentlich nur spielen wollen, wir aber dennoch unser Päckchen mit uns rumtragen und überraschend (dünnhäutig) auf äußere Reize reagieren.
Ich habe jetzt alle Strategien auf Canasta angewendet – schweigen (um weitere Beschimpfungen zu vermeiden); offen darüber sprechen, dass ich mich als Dauerverlierer schlecht fühle (in der Hoffnung, die Gefühle lösen sich durch kategorische Akzeptanz einfach in Luft auf); mit meinem Mann in emotionalen Reizzuständen und schließlich überhaupt nicht mehr mit ihm zu spielen (klare Vermeidungsstrategie).
Doch das Einzige, was nachhaltig und am wirkungsvollsten hilft, ist es, mir in stillen Stunden mein Päckchen anzuschauen und es liebevoll anzunehmen, und beim Spiel immer wieder runterzubeten: Das ist nur ein Spiel! Es ist nicht real, es ist nur ein Spiel!
Und inständig hoffen, dass mein Spieleglück irgendwann zu mir zurückfindet …
Sandra S., 40, lebt mit Mann und Töchtern in Kiel. Sie dreht “ehe-technisch” bereits die zweite Runde, wirkt oft bei Poetryslams mit und schreibt außerdem Kurzgeschichten. Wenn sie nicht gerade textet, das Meer oder ihre Familie genießt, singt sie mit Leidenschaft und Inbrunst. Bei Frau Mutter schreibt sie über Liebe und Beziehungsthemen.
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