Leben mit Kindern

Loslassen lernen: Die erste Klassenfahrt

16. Juli 2018

Loslassen lernen ist nicht einfach. Man macht sich ja gerne über „klammernde Mütter“ lustig. Von wegen, das ist halt so. Kinder werden groß. Lasst sie los und deal with it. Aber wer ein Kind 9 Monate im Bauch hatte, es als Baby Tag und Nacht versorgt hat und drollfzigtausend Auas verarztet hat, der kann es vielleicht nicht von heute auf morgen so loslassen. In einer Mutterbiographie ist das wahrscheinlich auch mit das Schwierigste. Erst lernt man das Muttersein und dann soll man auch schon wieder aufhören damit. Ja nicht zu sehr bemuttern, immer schön machen lassen. Tja….

Loslassen lernen: Gar nicht so einfach- für die Mutter

Meine Gastautorin Sandy beschreibt heute ihre Gefühle, als ihr 9jähriger Sohn das erste Mal für länger von zu Hause wegfährt, die erste Klassenfahrt für den Sohn- und die Mutter zu Hause.

Nicht in jeder Familie ist es üblich, dass die Kinder von Klein auf in den Ferien mit Oma und Opa verreisen. Viele Kinder fahren das erste Mal bei der Abschiedsfahrt der Kita wirklich ein, zwei Nächte weg, wenn überhaupt. Die erste Klassenfahrt, eine „Hortfahrt“ oder das Fußball Sommerferiencamp findet meistens sogar erst mit acht, neun Jahren statt.

Dann wird uns Eltern plötzlich klar, wie groß die Kleinen doch schon sind, wie selbstständig! Nicht alle Kinder sind von dem Neuen angetan und Heimweh kann durchaus Thema sein, doch ein Großteil scheint mit jeder Klassenstufe der Grundschule über sich hinaus zu wachsen, die Kinder wollen Selbstständigkeit, drängen förmlich nach dem Unbekannten. Und wie geht es mir als Mutter dabei? Hier ein aktueller Erfahrungsbericht…

Der Countdown läuft – erstmal meditativ waschen….

In 36 Stunden geht mein Neunjähriger (ganz frisch, letzte Woche war er noch acht) auf Klassenfahrt. Damit auch die Lieblings- Klamotten rechtzeitig sauber sind (ja, auch Jungs in dem Alter haben sehr spezielle Vorstellungen), wasche ich schon wie wild seit Tagen. Wäsche waschen in einem Haushalt mit Kindern hat mittlerweile etwas Meditatives. So nutze ich auch jetzt die Ruhe in unserer Waschküche, um mich mental auf die Abwesenheit des Erstgeborenen vorzubereiten: „Wie groß wird meine Sehnsucht nach ihm sein?

Ob andere Mütter auch so aufgeregt sind? Hoffentlich muss ich beim Abschied keine Tränen verdrücken…“ Ich möchte, dass er ein Rundum-Sorglos-Paket auf seine erste große Reise mitnimmt und stopfe den Kapuzenpulli in die Trommel. Sein Kuscheltier darf er/ ich nicht vergessen! und Womit werde ICH eigentlich während seiner Abwesenheit kuscheln?

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….und coole Zahnpasta kaufen

Mein Sohn und ich gehen ein paar Dinge einkaufen, die auf der offiziellen Packliste der Lehrerin stehen: Batterien für die Taschenlampe (Nachtwanderung im Wald, ohne mich im Dunkeln, schluck), Badeschlappen, Kulturbeutel… Vor dem Drogeriemarkt schiele ich auf unsere Silhouette im leicht spiegelnden Schaufensterglas: Ist das da mein Sohn neben mir, der mir locker bis zur Schulter reicht?! Wir kaufen „coole“ Zahnpasta, die gibt’s jetzt extra für sieben bis 12 Jährige. Normalerweise lass ich mich auf diese Produkte nicht ein, aber meiner Sentimentalität geschuldet, bin ich momentan bereit, ihm alle Wünsche zu erfüllen. Nur nichts anmerken lassen!

Ein Tag vor Abreise – Loslassen lernen kommt näher

Der Koffer ist fertig, aber wir geraten in Streit über die Bettwäsche darin: „Sterne und Wolken sind für Babys, Mama!“ Jahrelang war es seine Lieblingsbettwäsche und nun fühlt er sich plötzlich zu groß dafür? Ich sehe gar nicht ein, noch rasch die DFB- Fußball Bettwäsche zu waschen. Wir diskutieren lang und breit und zum ersten Mal sehne ich in diesem Moment seiner Abfahrt entgegen.

Immerhin stehen mir vier Tage Pause von aller Verantwortung als Mutter bevor, in denen ich zur Abwechslung mal nicht über Wäsche, volle Mülleimer oder die Frühstückscerealien diskutieren muss. Bin ich eine schlechte Mutter oder endlich bereit, loszulassen?!

Am Morgen der Abreise – das Chaos ist perfekt

Als ob nicht schon alles aufregend genug wäre, kommt am Morgen der Abreise der gecharterte Bus 60 Minuten zu spät. Staubedingt. Während die aufgeregten Kinder außer Sicht auf dem Hof Jungs-fangen-die-Mädchen spielen, scharen sich noch aufgeregtere Elternteile um den immensen Kofferberg. Geschwister wuseln mittendrin und klettern obendrauf. „Ist der Busfahrer unzuverlässig oder gibt es einen unvorhergesehenen Stau? Hoffentlich kein Unfall?

Haben diese Reisebusse wirklich Beckengurte auf allen Sitzplätzen? Und wer kontrolliert das eigentlich? Wie lange wird die Fahrt in etwa nochmal sein? Wo bleibt eigentlich die Klassenlehrerin? Wie erfahren wir nachher, ob und wann die Kinder angekommen sind? Wieso hat Tom zehn Euro Taschengeld dabei, es hieß doch maximal fünf! Hoffentlich denkt Stine daran, dass sie keine Milchprodukte verträgt…“

Ich bin einerseits erleichtert zu sehen, dass alle Elternteile meine Sorgen und Aufregung teilen. Andererseits habe ich die Regenjacke für unseren Sohn vergessen und überlege panisch, ob ich es rechtzeitig vor Busabfahrt schaffen könnte, nochmal heim zu rasen…

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Kurz und schmerzlos – Tschüß, Mama!

Dann geht alles schneller als gedacht. Geschwisterkinder werden von den Kofferbergen gepfiffen, gehetzte Väter verstauen ohne Sinn und Verstand die Koffer – zum Leid des grummeligen Busfahrers, der vergeblich versucht, irgendein System beim Packen durch zu setzen. Alle rufen durcheinander, es riecht nach Schweiß und die überforderte Klassenlehrerin tut mir ein bisschen Leid. Dann fließen tatsächlich Tränen beim Abschied, einige Mädchen und auch Müttern.

Ich trage Sonnenbrille, safety first. Mein Sohn hingegen legt gar keinen Wert auf irgendeine Art von Abschiedszeremonie, eine lockere Umarmung ist das höchste der Gefühle, ein Kuss wäre zu peinlich „Tschüß, Mama!“ dann ist er weg.

Ich trabe mit einem Kloß im Hals davon und treffe auf dem Parkplatz eine aufgelöste Bekannte aus der Nachbarschaft. Was ist passiert? will ich besorgt wissen. Sie kann wahrlich kein Kind auf Klassenfahrt verabschiedet haben, ist ihr Sohn doch erst ein Jahr alt. „Wir machen doch jetzt die Kita- Eingewöhnung mit Arthur,“ schluchzt sie. „Ich musste ihn heute das erste Mal alleine lassen, gleich zwei Stunden!“

In diesem Moment, mit dem Gedanken an all die Situationen, die ich in neun Jahren mit meinem Sohn schon durchgestanden habe, fühle ich mich ganz stark, um nicht zu sagen stolz. Ich nehme sie tröstend in den Arm, plötzlich voller Zuversicht, dass unsere Söhne ihren Weg gehen werden. Loslassen lernen ist unbequem, aber ich fühle mich nun besser gewappnet.

Wie war es für Euch, als euer Kind das erste Mal alleine wegfuhr?

Foto: pixabay

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