Gastbeiträge

Vereinbarkeit von Familie und (coolem) Beruf?

16. Oktober 2015

Meine Kolumnistin Heike arbeitet in der Werbebranche. Das ist für viele ein Traumberuf. Wer es dort zu etwas bringen will, schafft sich offenbar am besten einen Hund an und kein Kind.

„Agenturhunde“ sind total in und als „emotionales Benefit“ für die Mitarbeiter akzeptiert, während Kinder eher als Störenfaktor gesehen werden. Ob Kuscheltiere auch zählen?

Die Vierbeiner kommen auf die Firmen-Homepage, aber die Mutter wird leider nicht mehr CC gesetzt, weil: Wo ist der USP?

Ein wirklich sehr guter und pointierter Text, der sicherlich auch für andere Berufszweige gelten kann. Vereinbarkeit: Fehhlanzeige?

Frauchen sein ist spitze, Muttchen buh

Mathilda und Ole. Jette und Jost. Auf der „Best of Kindernamen“-Liste stehen sie ganz oben, im Büro dürfen sie sogar mal aufs Ledersofa pieschern. Wegen ihnen werden Kundentermine verschoben (Jette hat gewürgt) und penible Sitterdienste durch alle Abteilungen geplant. In meinem Job gibt es eine klare Grenze, wie viel Familie voll okay ist. Die Grenze heißt Hund. Und wedelt gut gelaunt durch meinen Joballtag. Jedes Schwanzwedeln eine hämische Botschaft an mich: Frauchen sein spitze, Muttchen sein buuuh.

Jetzt ist ein Hund kein Goldfisch, nein, er verlangt soziale Kontakte, wenn er durch die Stockwerke trollt und sogar Geschäftsführer-Waden fröhlich anrammelt. Kichernd nehmen meine Kollegen und Kolleginnen Pupskonzerte und diesen talgigen „Ich war im Regen und hab dieses lange Fell“-Geruch wahr, basteln aus allem, was der Büroalltag hergibt Unterhaltungsklimbim für Vierbeiner, teilen ihre Wurstbrote mit der Fellgeneration und wechseln sich selbstverständlich mit Gassigehen in der Mittagspause ab. 

Mein Sohn sitzt derweil in der KiTa, macht Töpfchentraining und wartet darauf, dass ich ihn zum Gassi – äh Spielplatz – abhole. Die wenigsten meiner Kollegen und Kolleginnen wissen seinen Namen, getroffen haben sie ihn noch nie. Er ist eben nicht der Agenturhund, nicht das Maskottchen einer Branche, die nur so viel Familie erlaubt, wie sie streng konditionierbar aufs Berufsleben ist.

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Das tierische Familienglück

Da liegt nun das tierische Familienglück der alleinstehenden Enddreißigerinnen, das emotionale Katapult einer familienunfreundlichen (freundlich gesagt) Berufswelt unter dem Schreibtisch und träumt von Wald und sieht nur Flur. 

Was wäre, wenn ich mal mein Kind mitbringe? Eignet es sich womöglich zum Agenturkind!? Stinkt nicht, haart nicht, rammelt nicht und hat in der sozialen Kompetenz alles drauf – vom zickigen Rauhaardackel bis zum verschmusten Golden Retriever. Kreischen meine Kolleginnen dann auch entzückt, wenn er aus Versehen in ihrem Stockwerk landet? Werden sie ihm den Kopf kraulen? Und sich ums Babysitten in der Mittagspause reißen? Natürlich nicht.

Denn mein Sohn ist genau das zweibeinige „zu Viel“. Ein echter Einschnitt, eine personifizierte Veränderung meiner Einsatzfähigkeit, ein Stressfaktor mit Pausbäckchen. Er macht Muttchen unflexibel, er setzt Signale für alle, die wissen, dass sie den geilsten Teil des Lebens vielleicht verpassen. Kinder eignen sich nicht zum kleinsten gemeinsamen emotionalen Nenner. 

Deshalb führt eine namhafte Hamburger Werbeagentur lieber zärtlich die Agenturhunde auf ihrer Website vor, als den Beweis, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch Familien sind.

Eine Berufswelt, die Familie negiert: Gar nicht „wau“

Alles, was länger ablenkt vom Fokus Job als die Kaudauer eines Schweineohrs ist nicht kommentierbar. Findet nicht statt. Nicht beim Kunden (Muttchen kann nachmittags nicht), nicht beim Chef (Muttchen nimmt Aspirin Komplex, die große Packung, bitte), nicht bei den Kollegen (Muttchen war leider nicht CC). 
Hat sich einer mal gefragt, ob das nicht total krank ist? 
Oder zumindest unglaublich zynisch?


Wann werden wir einen gesunden Blick auf das haben, was wir als Berufstätige in jeder Sekunde auch sind? Eltern! 
Wann wird es völlig okay sein, sein Kind mal mit zum Job zu bringen, wenn die KiTa Ferien hat? 
Wann fangen Arbeitgeber endlich an eine Kultur der Ganzheitlichkeit zu entwickeln, wenn sie auf ihre Angestellten gucken? 
Und beginnen zu verstehen, dass das bisschen weicher Hund nicht alles ist, was Angestellte an emotionalem Benefit in ihr Berufsleben integrieren können. Sie können jede Menge von dem einbringen, was sie jeden Tag als Familie lernen. Zum Beispiel ihre überdurchschnittliche Energie. 




Liebe Frauchen und Herrchen da draußen: ich hab gar nichts gegen Hunde! Echt! In einer Berufswelt, die Familie negiert, werden Ole, der Mischling und Jette, die Pudeldame, für mich allerdings zum ironischen Gegenkonzept. Die niedlichste, dennoch klare Grenze für Angestellte, wie viel Privatleben zum ambitionierten Jobmodell passt. 

Gar nicht Wau für alle, denkt das Muttchen. Und verlässt viel zu spät, viel zu gestresst die Arbeit, um endlich den tollen Sohn in den Armen zu halten. Kein Agenturkind. Sondern meins.

Heike, 37, lebt mit Mann in „wilder Ehe“ und Söhnchen in „wildem Wahnsinn“ in Hamburg. Als Creative Director Copy in einer Werbeagentur hat sie ihre Liebe zum Wort und den Ideen drumherum professionalisiert. Ihre wirklich beste Idee weckt sie jeden Morgen mit der Frage: „Is heute Wochenende, Mama?“

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9 Kommentare

  • Reply Jothea 16. Oktober 2015 at 8:39 am

    Kenne ich nur zu gut. Mit Kind 1 habe ich offiziell nur noch 24 Stunden, real 40, gearbeitet – ein Wahnsinnsspagat zwischen Babysittern, Großeltern und Agentur; gereicht hat es dann dafür, dass ich PowerPoint-Präsentationen aufhübschen durfte und ähnliche Azubiaufgaben übernehmen durfte, denn „als Mutter bist du ja nicht voll einsatzfähig“ (sprich: 60+ Stunden). Habe mich nach einer erschöpfenden Überstundenausgleichsdiskussion (irgendwovon müssen auch Babysitter und Spritkosten zu 90 km entfernten Großeltern bezahlt werden) schnell für Kind 2 entschieden. Und jetzt sitze ich in der Mütterfalle. Juchhhu.

  • Reply dieverlorenenschuhe 16. Oktober 2015 at 10:21 am

    Traurig ist das, traurig!!! Wir leben in einer hundefreundlichen- aber kinderfeindlichen Gesellschaft. Traurig!

  • Reply Anne 16. Oktober 2015 at 11:24 am

    Toller Text. ich habe Tränen gelacht. Ich bin in der gleichen Branche und hier laufen auch zahllose Emmas, Wilmas Almas, Henry mit Fell herum und sind total anerkannt. Und ich, das Muttchen mache mit 20 Stunden Teilzeit hier auch Azubiaufgaben. ich hätte mir dann wohl doch auch lieber Hunde anschaffen sollen 😉

  • Reply Frau Mutter 16. Oktober 2015 at 4:38 pm

    Vielen Dank für Euer Feedback und all die Shares, wir freuen uns sehr! LG Nina und Heike

  • Reply Heike 16. Oktober 2015 at 7:57 pm

    Hey alle! Danke für euer (gerne auch kritisches) Feedback! Ich dachte, ich kläffe auch mal ein bisschen. Ich hoffe, ihr könnt trotzdem auch drüber lachen. Grinsende Grüße!

  • Reply Linda 16. Oktober 2015 at 8:53 pm

    Anne, der Hund wird in paar Jahren ausgetauscht, und du mit deinem Kind wirst vielleicht irgenwann Oma und erlebst die Kindheit nochmal – ist das nicht toll? Sie sind nur deswegen so dreist in deren Parade, weil sie wahnsinnige Komplexe haben, niemand will sie doch haben, drum muss doch Tier her. Traurig, dass es die Mehrheit ist und das 60+ Stunden für alle Normalität ist und niemand traut sich was zu sagen. Darum arbeite ich Vollzeit, weil Halbzeit wäre das Gleiche, nur zu 50% bezahlt.

  • Reply Tobias 17. Oktober 2015 at 12:29 am

    Ein sehr toller Text. Ich möchte hier nur einmal kurz darauf eingehen, was der Mensch heute für einen Stellenwert hat: Die Gesellschaft ist im 21. Jahrhundert nicht reif genug bzw. dazu bereit, Menschen mit Behinderung(en) zu inkludieren; ein Großteil ist noch immer in Einrichtungen untergebracht. Es gibt Obdachlose. Man ärgert sich über Flüchtlinge, schürt Ängste. Hingegen ist es seit ewigen Zeiten normal, sein Auto in einer Garage zu parken und Haustiere bei sich aufzunehmen (welche eigentlich in freier Wildbahn viel glücklicher wären). Um noch einmal zum Text zurück zu kommen: Menschen haben zunehmend mehr Komplexe und diese lassen sich wunderbar von einem furzenden Hund kaschieren. Verantwortung für andere Menschen, ja gar eigene Kinder zu übernehmen verlangt einem natürlich wesentlich mehr ab!

  • Reply Sophie 17. Oktober 2015 at 10:55 am

    Guter Text! Super, dass die Hunde alle Kindernamen tragen. Ich musste den Absatz echt zwei Mal lesen bis ich geschnallt hab, dass da Tiere gemeint sind. Sehr schön! Da bin ich ja fast froh, in einem Verband zu arbeiten. Da sind Tiere nicht erlaubt. Ganz selten bringen Kollegen aber tatsächlich mal ihre Kinder mit, wenn es einen Betreuungsnotfall gibt. Gestört haben die nie. Meinen Zweijährigen würde ich allerdings niemals mitnehmen, der hätte in sekundenschnelle das ganze Büro einmal umgekrempelt. 😀 Insgesamt aber ein Riesendilemma, dass wir in unserem Land unser Eltern-sein am besten durchgängig verstecken. Kinder finden nicht statt. Im gesellschaftlichen Leben kaum und im Beruf überhaupt nicht. Es bräuchte viel mehr mutige Unternehmen, Agenturen und Führungskräfte, die andere Wege gehen.

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