Gastbeiträge

40 Jahre IVF: Eine Mutter erzählt von ihrem schwierigen Weg, Kinder zu bekommen

10. November 2017

40 Jahre IVF. Das ist ein ganz besonderes Datum. Heute vor 40 Jahren, also am 10. November 1977 wurde Louise Joy Brown mit Hilfe von künstlicher Befruchtung gezeugt. Das erste „Retortenbaby“, ein ganz schlimmer Ausdruck wie ich finde.  IVF hat so vielen ungewollt kinderlosen Menschen geholfen, aber dieser Weg ist sicher auch kein einfacher. Heute erzählt Ann von ihrem schwierigen Weg, per künstlicher Befruchtung Mutter zu werden.

40 Jahre IVF und noch immer kein Spaziergang

Wenn ich heute auf meine Kinderwunschzeit zurückblicke, bin ich wahnsinnig stolz. Stolz auf mich, stolz auf meinen Mann und stolz auf uns als Paar. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht wenigstens kurz darauf besinne, wie viel Glück wir haben, zwei Kinder unser eigen zu nennen, eine Familie zu sein. Das ist nicht selbstverständlich.

Dass es schwierig werden würde, erfuhren wir, als wir 2011 eine Familie gründen wollten. Wir waren beide Mitte dreißig und die Sehnsucht nach einem Baby lief nach und nach dem Karrieredrang den Rang ab. Eine vierköpfige Familie – das war unser großer Traum. Doch dann kam die alles in Frage stellende Diagnose: Mein Mann hat(te) sehr wenige und zu unbewegliche Spermien. Ohne eine künstliche Befruchtung können wir aller Wahrscheinlichkeit nach keine Kinder bekommen.

Ist ICSI der richtige Weg?

Grundsätzlich optimistisch und pragmatisch veranlagt gingen wir die neue Situation mit einer Augen-zu-und-durch-Haltung an. Kinderwunschpraxis aufsuchen, Kostenbeteiligung bei der Krankenkasse beantragen, Behandlungsplan genehmigt bekommen, Medikamente einkaufen, … wir hakten die To Dos zügig ab. Meine Schwägerin machte uns sogar mit einem Paar bekannt, das ebenfalls eine ICSI hatte durchführen lassen (Intracytoplasmatische Spermieninjektion; im Labor wird unter dem Mikroskop ein Spermium direkt in die reife Eizelle gespritzt und die befruchtete Eizelle drei bis fünf Tage kultiviert, bis sie in die Gebärmutter transferiert wird). Mit ihrem süßen, einjährigen Töchterlein auf dem Schoß erzählten sie uns von ihren Erfahrungen, machten uns Mut und nahmen uns aufkeimende Ängste. Bei ihnen hatte bereits die erste ICSI zum Erfolg geführt.

Da bis zum Beginn der eigentlichen Kinderwunschbehandlung alles so schnell ging, hatte ich keine Zeit dafür, mir viele Gedanken zu machen. Ich las kaum etwas zum Thema und verließ mich auf das Fachwissen der behandelnden Ärzte. Wir hatten Glück. Der Schwangerschaftstest nach der ersten ICSI war positiv! Bis zur Geburt unseres Sohnes verlief alles so perfekt nach Lehrbuch, dass ich eher interessiert verfolgte, wie eine Kinderwunschbehandlung funktioniert, als mir permanent einen Kopf darüber zu machen, warum gerade wir in diese Situation geraten waren, ob das Leben nicht wahnsinnig unfair zu uns war und als wie ungewiss wir uns unsere Zukunft vorstellen sollten. Wir wiegten uns in der trügerischen Sicherheit, dass das Zeugen von Nachwuchs mittels künstlicher Befruchtung planbarer sei als durch natürliche Empfängnis.

IVF: Beim zweiten Kind ist alles schwieriger

Dass wir damit absolut falsch lagen, zeigten die vielen Monate, die ich für unser zweites Kind in der Kinderwunschklinik ein- und ausging. Drei ICSIS (davon eine ohne Transfer) und drei Kryobehandlungen (Transfer von zuvor überzähligen, eingefrorenen und wieder aufgetauten befruchteten Eizellen) benötigten wir, bis wir wieder ein positives Testergebnis bekamen. Fast genau ein Jahr zog sich das hin. Wäre ich besser informiert in die Kinderwunschbehandlungen gegangen, hätte mich diese zermürbende Zeit nicht so aus der Bahn geworfen. Vom ersten Erfolg verblendet war ich jedes Mal wie vor den Kopf gestoßen, wenn mir ein „negativ“ nach dem anderen übermittelt wurde.

Aus „war ja klar, dass wir nicht immer so ein Glück haben können“ wurde ein „anderen geht es genau so, wir halten durch“, bis ich an meinem moralischen Tiefpunkt heulend in der Küche saß und dachte, „ich kann in ein paar Monaten nicht in das neue Haus einziehen, weil es zwei Kinderzimmer hat und mich das zweite Zimmer jeden Tag daran erinnern wird, dass wir unvollständig sind!“

Mehr Informationen über starke emotionale Belastung

In dieser Situation habe ich erkannt, wie sehr es mir geholfen hätte, im Vorfeld mehr über den Gesamtkosmos unerfüllter Kinderwunsch und Kinderwunschbehandlungen zu wissen. Ich gab mir selbst das Versprechen, ein Buch zu schreiben, das ich vor und während der Behandlung hätte lesen wollen – unter der Voraussetzung, dass ich ein zweites Mal schwanger würde. Ich hätte sonst nicht die Kraft aufbringen können, alles nochmal zu durchleben. Und ich hätte den Leserinnen nicht zumuten wollen, diesen schwierigen Weg mit mir zu gehen und am Ende enttäuscht im Regen stehen gelassen zu werden.

Beim Schreiben ist mir wieder bewusst geworden, welche emotionale Belastung Paare – vor allem die Frauen – auf sich nehmen, die sich mit Hilfe von künstlicher Befruchtung den Traum von einem Baby erfüllen wollen. Meine Erlebnisse sind kein Einzelschicksal. Täglich durchlebt eine Vielzahl von Frauen das, was mir widerfahren ist.

Die anderen sind alle schwanger- und ich?

Ich erinnere mich noch deutlich an meine Hoffnung darauf, dass die moderne Medizin helfen kann, an die Ungeduld, bis die Behandlung beginnen und dann bis ich den Schwangerschaftstest machen konnte (mal wieder), an das Schamgefühl, weil wir nicht hinbekamen, was die Natur für alle vorgesehen hat, an die unglaublich starke Sehnsucht nach unserem eigenen Kind, an meine Angst vor den Spritzen, der Vollnarkose, dem Testergebnis und an die jedes Mal schlimmer werdende Frustration, wenn das Kinderwunschzentrum mitteilte: „Leider hat es nicht geklappt.“

Dazu kam, dass in dieser schwierigen Zeit meine Ex-Chefin mit dreiundvierzig Jahren ungeplant spontan schwanger wurde, eine Schulfreundin bereits schwanger war, als wir sie bei ihrer Hochzeit hochleben ließen („Ich habe noch Sekt getrunken, weil ich nicht dachte, dass es so schnell klappen würde.“) und dass mich regelmäßig jemand fragte, wann denn mit dem zweiten Kind zu rechnen sei. Mein Bauch war von den Hormonspritzen phasenweise so aufgebläht, dass ich wie im vierten/fünften Monat aussah. Manchmal wollte ich einfach keinen Menschen mehr sehen.

Wir sind nicht allein!

Seitdem weiß ich, dass mein Mann und ich uns in guter Gesellschaft befinden. Geschätzt jedes sechste bis siebte Paar in Deutschland ist aus biologisch-medizinischen Gründen kinderlos. Manchmal gehe ich gedanklich meinen Freundeskreis durch: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, unfruchtbar, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, unfruchtbar, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, unfruchtbar, … – ja, man wird irgendwann ziemlich sarkastisch, wenn sich der eigene Kinderwunsch nicht erfüllen will.

Künstliche Befruchtung: Achtung bei der Wahl der Krankenkasse

Außerdem wurde mir klar, dass wir viel Geld hätten sparen können, wenn wir zu einer anderen Krankenkasse gewechselt wären. Leider waren wir dazu nicht beraten worden und wussten nichts von den freiwilligen Zusatzleistungen, die von manchen gesetzlichen Krankenkassen gewährt werden. Unsere zwei Kinder haben uns 10.600 Euro gekostet, die für den Eigenanteil an Behandlungen und Medikamenten angefallen sind. Einen großen Teil dieser Summe hätten wir durch einen Wechsel sparen können.

Wenn mich jemand fragen würde, wie es mir mit dem unerfüllten Kinderwunsch und künstlicher Befruchtung ergangen ist, könnte ich beschönigend sagen: Leicht war es nicht. Das erste Mal schwanger war ich zum Glück gleich nach der ersten ICSI. Für das zweite Kind haben wir dann leider fünf Versuche gebraucht.

So viele Tränen, so viel dem Körper zugemutet

Alternativ könnte ich vorrechnen: Ich habe 252 Mal daran gedacht, ein Hormon-Nasenspray zu verwenden, habe mir 108 Mal Medikamente selbst in den Bauch gespritzt, hatte vier Vollnarkosen, eine Gebärmutterausschabung und mir wurden in sechs Transfers elf Embryonen übertragen. Das Ergebnis sind zwei wunderbare, gesunde Kinder.

Fakt ist: Ich habe während der Kinderwunschzeit, so viele Tränen vergossen wie seit der Pubertät nicht mehr. Ich konnte meinen Freundinnen ihre Schwangerschaftsbäuche nicht gönnen. Ich habe ein Doppelleben geführt, weil fast niemand von unserer Situation wusste. Ich habe mich sehr oft sehr allein gefühlt. Jetzt bin ich bis zum Mond und wieder zurück glücklich, einen Sohn und eine Tochter zu haben. Sie machen unser Leben so bunt und abwechslungsreich und vollkommen, wie wir es uns erhofft hatten! Sie gaben mir die Energie, mich tatsächlich hinzusetzen und ein Buch zu schreiben.

Mein Buch

Mit meinem Buch „Auch ein schwacher Samen findet mal ein Ei. Wenn’s ohne fremde Hilfe nicht klappt mit dem Kinderwunsch“ möchte ich andere betroffene Paare informieren und ihnen Mut machen. Ich schildere darin meine vierjährige Kinderwunschzeit und habe viel recherchiert, um auch Sachthemen für medizinische Laien verständlich zusammenzufassen: Ursachen für Fruchtbarkeitsstörungen, Methoden der künstlichen Befruchtung, statistische Daten, Behandlungskosten und finanzielle Unterstützung.

 

 

Dabei herausgekommen sind gut 200 Seiten, mit denen ich andere Betroffene ermutigend begleiten möchte. Sie sollen sehen, dass ihre Probleme keine Ausnahmen sind. Meine Schilderungen gewähren persönliche Einblicke in diesen nervenzehrenden, kostspieligen und zeitraubenden Behandlungsmarathon. Sie geben Hoffnung ohne zu beschönigen und verdeutlichen, welche logistischen Herausforderungen Kinderwunschbehandlungen für eine Kleinfamilie mit sich bringen und wie skurril es sich anfühlt, wenn währenddessen das alltägliche Leben einfach weitergeht.

Fotos: Pixabay

Merken

Merken

Merken

Merken

Merken

Merken

Frau Mutter folgen

Das könnte auch interessant sein…

2 Kommentare

  • Reply Monica 10. November 2017 at 2:35 pm

    „Ich habe 252 Mal daran gedacht, ein Hormon-Nasenspray zu verwenden, habe mir 108 Mal Medikamente selbst in den Bauch gespritzt, hatte vier Vollnarkosen, eine Gebärmutterausschabung und mir wurden in sechs Transfers elf Embryonen übertragen. Das Ergebnis sind zwei wunderbare, gesunde Kinder.“

    Das Zitat zeigt es einfach mal ganz deutlich. Wenn man Glück hat, kann es beim ersten Versuch klappen. Wie oft jedoch klappt es auch nicht beim 2., beim 3., beim 4. Versuch… Die ungewollte Kinderlosigkeit und damit verbundene Fruchtbarkeitsbehandlungen zehren jeden Tag mehr an den Nerven und werden unerträglicher je länger sie fortdauern. Und doch wäre jede Frau, die sich wünscht, Mutter zu werden, und jedes Paar die um alles in der Welt gerne Eltern wären, zu allem bereit!

  • Reply Annette 26. September 2020 at 11:24 pm

    „Unsere zwei Kinder haben uns 10.600 Euro gekostet, die für den Eigenanteil an Behandlungen und Medikamenten angefallen sind. Einen großen Teil dieser Summe hätten wir durch einen Wechsel sparen können.“

    Nur 10.600€? Wir sollten wohl zurück nach Deutschland kommen. Wir leben im Ausland und werden für Kind 2 vermutlich 4000€ pro Versuch bezahlen müssen. Kind 1 wurde „subventioniert“ und hat uns nur 500€ gekostet.

  • Kommentieren

    Schreibe einen Gastbeitrag!
    Dir gefällt mein Blog und Du möchtest auch schreiben?

    Veröffentliche Deinen Text auf meiner Seite!

    Gastbeiträge:
    • - sind mindestens 600 Wörter lang mit Überschriften und Foto (lizenzfrei)
    • - "AutorInnenkasten" am Ende des Beitrags mit Deiner Vorstellung
    • - Verlinkung Deiner Seite (do follow)

    Anonyme Beiträge:
    Du möchtest Dir etwas von der Seele schreiben und suchst eine wertschätzende und verständnisvolle Community von Müttern?

    Du kannst Deinen Beitrag gerne anonym veröffentlichen!
    Textvorschläge bitte an: fraumutter74@googlemail.com
    We respect your privacy. Your information is safe and will never be shared.
    Schreibe einen Gastbeitrag!
    ×
    ×
    WordPress Popup