Eltern Interviews

Interview mit Katia Saalfrank: „Lieber Beziehung statt Erziehung“

4. Oktober 2016

Katia Saalfrank ist vielen von uns noch als „Super Nanny“ der gleichnamigen TV-Sendung ein Begriff. Ich habe sie schon mehrfach im Elternblogger-Kosmos getroffen und habe sie als sehr zugewandte und achtsame Frau kennengelernt. Die Mutter von vier Söhnen berät heute Eltern als Coach in Berlin und hat gerade ein neues Buch vorgelegt.

„Was unsere Kinder brauchen- 7 Werte für eine gelingende Eltern-Kind-Beziehung“ ist kein klassischer Erziehungsratgeber, sondern eher ein „Beziehungsratgeber“ für Eltern. Die Autorin plädiert in ihrem Buch dafür, neue Wege im Leben mit Kindern zu gehen. Weg vom klassischen Erziehugsmodell, das Verhalten der Kinder nach dem Elternwunsch zu lenken. Achtsamkeit statt Belehrung, Vertrauen statt Kontrolle, Miteinander statt Gegeneinander.

Nach Lektüre des Buches kann ich sagen, dass mir Katias Stil sehr gut gefällt. Sie gibt Eltern einen Kompass und regt wirklich zu Nachdenken an. Außerdem ist das Buch sehr schön aufgemacht, so dass es sich als Geschenk eignet.

Nichtsdestotrotz sind das schon sehr hehre Ziele und Ideale, die da im Buch beschrieben werden. Im Alltag gelingt es uns oft nicht, so ruhig, geduldig und achtsam zu bleiben, wie das „gute Eltern“ tun sollten. Man ist müde, genervt, der Alltag muss gewuppt werden und dann „kooperieren“ die Kinder nicht. Ich wollte von Katia Saalfrank wissen, wie dieser durchaus schöne Ansatz der Eltern-Kind-Beziehung auf Augenhöhe im Alltag umgesetzt werden kann.

Katia, Du ermutigst Eltern, sich vom „klassischen Erziehungsmodell“ zu verabschieden und neue Wege zu gehen. Warum funktioniert das alte Modell heute nicht mehr?

Es „funktioniert“ doch wunderbar – zumindest für den Moment. Das ist weniger das Problem. Es geht darum, dass wir unsere Ziele verändert haben: Wir wollen heute nicht mehr (nur) angepasste und gehorsame Kinder, sondern selbstbewusste und starke, verantwortungsbewusste und unabhängige Persönlichkeiten, die ihr Leben meistern und unsere Gesellschaft gestalten können. Zudem haben wir heute einfach viel differenzierteres Wissen, was Kinder brauchen, um maximal psychisch und physisch aufzuwachsen. Wir haben Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie, der Säuglings- und Bindungsforschung und auch aus der Hirnforschung der Evolutionsbiologie.

Alle diese Wissenschaften geben Auskunft darüber, wie kleine Menschen beschaffen sind, was für Bedürfnisse sie haben und was sie brauchen. Früher mussten Gefühle und emotionale Bedürfnisse nach Wärme, Nähe und Geborgenheit unterdrückt werden, was Langzeitfolgen für die betroffenen Kinder hat. Von Burnout über Depressionen, Angst- und Bindungs- und Beziehungsstörungen. Wenn wir das doch heute wissen, dann können wir diese Erkenntnisse in unseren Umgang zu Kindern einfließen lassen und können wegkommen von der reinen Verhaltensanpassung. Hin zu einem bindungs- und beziehungsorientierten Umgang miteinander.

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Die Elterngeneration von heute wurde oft noch nach dem traditionellen Erziehungsmodell erzogen. Warum ist es so schwer, neue Wege zu gehen?

Das herkömmliche Erziehungsmodell ist geprägt von vielen Mechanismen z.B. von Bewertung, Bevormundung, Bestrafung, Kontrolle und Abwertung. Wenn Kinder dies über einen langen Zeitraum erleben, so „erzogen“ und geprägt werden, hören und verinnerlichen sie viele destruktive Botschaften: z.B. So, wie Du bist, bist Du nicht richtig! Oder auch: Deine Gefühle sind falsch! Überhaupt Gefühle zu fühlen ist verboten! Hier gibt es oft nur eine „Überlebensstrategie“ für sie: Sie unterdrücken ihre Gefühle und trennen wichtige Gefühle ab. Das heißt, sie hören auf, bestimmte Gefühle zu fühlen. Z.B. Empathie. So ist es, wenn diese Kinder dann selbst Eltern sind und es anders machen wollen oft nicht leicht neue Wege zu gehen.

Der Kopf hat es zwar verstanden aber das Gefühl braucht Zeit, bis es wieder ins Spüren kommen und auch neue Handlungsalternativen in den Umgang integrieren kann. Hier kann eine Beratung sehr hilfreich sein, um auch langfristig einen bindungs- und beziehungsorientierten Umgang zu finden.

Katia Saalfrank: „Unser Ärger birgt keine neuen Strategien für Kinder“

 

Ich als Mutter möchte gerne geduldig, achtsam und wertschätzend sein. Warum ist das zum Beispiel bei einem Trotzanfall des Kindes so schwer? Dürfen wir uns über Verhaltensweisen des Kindes denn nicht mal ärgern?

Kinder haben ja keine „Trotzanfälle“… das ist oft schon eine Bewertung, die Erwachsene vornehmen. Kinder befinden sich in einer tiefen inneren Not und haben keine Worte für das, was in ihnen vorgeht und auch (noch) keine adäquaten guten Handlungsalternativen auf die sie aktiv zugreifen können. Das ist dann das, was wir als „Trotzanfall“ einordnen. Du kannst Dich als Mutter natürlich über die Verhaltensweisen Deines Kindes ärgern – die Frage ist ein wenig wie das deutlich wird. Schimpfen, selbst schreien, abwerten? Das ist wäre für den Entwicklungsprozess des Kindes nicht hilfreich. Und die Frage ist auch: Bleibt es bei Deinem Ärger oder gibt es auch noch mehr für Dein Kind? Denn unser Ärger birgt oft keine neuen Strategien für Kinder.

Kinder fühlen sich nach der überstandenen Krise oft schuldig und sind voller Scham. Unser Ärger, der sich vielleicht auch in Schimpfen oder Bewertungen äußert, befeuert dann dieses Gefühl noch, was das Kind eher dazu bringt, seine unangenehmen Gefühle zu unterdrücken. Es braucht also neue Handlungsalternativen und darf in dieser Zeit seine Gefühle kennenlernen. Gute Botschaften an das Kind sind: Ich sehe Dich und Deine Wut! Ich kann sie verstehen und sie hat ihre Berechtigung! So können die Kinder nach und nach Worte für ihre Hilflosigkeit und ihren Ärger finden und müssen sich nicht mehr auf den Boden werfen.

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Du beschreibst einen Erziehungsstil in Deinem Buch, der auf Vertrauen zum Kind basiert und sich von Kontrollen verabschiedet. Das klingt schön, gleichzeitig wollen viele von uns Eltern, dass das Kind im Leben reüssiert. Es ist ganz schön schwer, sich dieser Stimmung von überbesorgten, leistungsorientierten Eltern zu entziehen. Wie kann das gelingen?

Ja, das ist nicht einfach! Das kenne ich als Mutter auch. Das wichtigste ist auch, dass wir als Eltern in uns selbst vertrauen und uns nicht von Panik anstecken lassen. Wir haben oft sofort Untergangsszenarien im Kopf: Mein Kind schreibt eine schlechte Note, dann bekommt es Schwierigkeiten in dem Fach, dann ist die Versetzung gefährdet, dann muss es eine Klasse zurück oder die Schule wechseln. Das sind kausale Verknüpfungen die so nicht stimmen.

Wir dürfen uns auch klar machen, dass das Schulsystem nach wie vor von den Mechanismen der herkömmlichen Erziehung geprägt ist und mit Macht, Anpassung und Kontrollen arbeitet. Das verunsichert, denn wir wollen ohne diese Aspekte in Beziehung gehen. Es bleibt also nur sich selbst immer wieder zu hinterfragen und den Druck, der Eltern überall entgegen schlägt nicht zu nehmen. Das ist ein längerer Prozess. Gut ist, wenn Eltern dann zusammen stehen und sich gegenseitig stärken können. Oft ist der Druck schon sehr stark und verteilt sich besser auf zwei Schultern!

Du hast selbst schon ältere Kinder. Gib uns einen Tipp: Wie schafft man es, dauerhaft eine gute Eltern-Kind-Beziehung zu leben? Auch durch die Pubertät hindurch und wenn man schon erwachsen ist?

Wir können zunächst mal definieren, was eine dauerhaft „gute“ Beziehung ist: Für mich ist das eine lebendige Beziehung, in man warm und nah miteinander in Kontakt ist, in der man lachen und auch Konflikte klären kann. Das geht auf die Dauer nur, wenn wir auch in Verbindung sind. Wenn wir wissen, was unsere Kinder denken und fühlen und was sie im Leben gerade beschäftigt. Wenn wir also Teil ihrer Welt sein können und dürfen. Das erlebe ich als großes Geschenk!

Danke, liebe Katia Saalfrank, für Deine guten Denkanstösse!

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2 Kommentare

  • Reply Mamamulle 4. Oktober 2016 at 8:40 pm

    Tolles Interview! =)

  • Reply Melanie Evli 19. Oktober 2016 at 11:59 am

    Das Interview ist gut, aber erinnert mich die Kurzvorstellung des Buches doch sehr stark an ein ähnliches Buch von Jesper Juul….

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