Gastbeiträge

Der tägliche K(r)ampf mit den Hausaufgaben

17. September 2015

Hausaufgaben Frau Mutter Blog

Das Schöne an den Sommerferien war ja auch, dass wir Eltern mal endlich keine Hausaufgaben kontrollieren mussten. Bei uns gibt es regelmässig das große Heulen und Zähneknirschen beim Erledigen der leidigen Aufgaben. „Ich verstehe das nicht, hilf mir, ich hab keine Lust, ich will jetzt raus gehen.“ Das ist so, was ich eigentlich den ganzen Nachmittag höre.

Kolumnist und Papa Helge hat ähnliche Probleme und lebt in Bayern, was die Sache zusätzlich erschwert. Es scheint mir, als ob er täglich mit seiner Tochter fürs Staatsexamen büffelt und das in der ersten Klasse. Hut ab! Hier sein sehr witziger Leidensbericht, viel Spaß

Man hat uns gewarnt: „Oh, dein Kind kommt in die Schule. Mach dich auf etwas gefasst“, haben sie gesagt. „Eine Stunde Hausaufgaben am Tag ist Minimum“, haben sie gesagt – die ganzen besserwissenden Eltern mit Kindern in höheren Klassen. „Ja ja, redet ihr mal“, habe ich gesagt. Leider hatten sie recht.

Das Hausaufgabenheft mit WhatsApp Backup

Wir waren auf vieles vorbereitet in der ersten Schulwoche: auf Verwandtschaftsbesuch zur Einschulung, auf unzählige erklärende Elternbriefe, auf die ersten Tränen wegen der Sitzordnung. Aber nicht darauf, dass unsere Tochter nach drei Tagen in den Hausaufgaben „RAKETE“ schreiben soll und noch etliche andere unglaublich Erstklässler-gerechte Worte – natürlich ohne jemals offiziell einen Buchstaben gelernt zu haben. Da wundert sich das Elternteil, denn hieß es nicht noch bei der Schulanmeldung, dass die Kinder „natürlich noch nicht“ schreiben können müssten, wenn die Schule beginnt?

Seitdem beginnt bei uns zuhause wochentäglich nach der Schule der Kampf mit Kind, Hausaufgabenheft und Anlauttabelle. Das Hausaufgabenheft enthält sozusagen die Kriegserklärung – doch was tun, wenn selbst Töchterlein nichts mehr entziffern kann? Dann ist flexible Kriegsführung mit modernster Bewaffnung gefragt: Schnell eine WhatsApp in der „Erstklässlereltern-Selbsthilfegruppe“ platziert und wenige Minuten später wird man mit einem Foto eines akkurat geführten Hausaufgabenheftes versorgt.

Hausaufgaben mit Gummibärchennachhilfe

Nun also fangen wir an: rechnen. Während ich Marie den Zahlenraum von eins bis zehn noch anhand von Gummibärchen erklärt habe und das Lehrmaterial dann zur Belohnung verspeist werden durfte, funktioniert der Plan beim Zahlenraum bis 20 nur noch bedingt, weil dauernd die Gummibärchen alle sind. Beim Subtrahieren über die zehn hinaus gerate ich in Erklärungsnot: „Also bei 17 minus 9, da guckst du erstmal, wie weit es bis 10 ist, das sind 7, und 9 minus 7 sind 2, also rechnest du dann 10 minus 2, das ist 8, also ist 17 minus 9 gleich 8. Verstehste?“ Natürlich nicht, denn die Lehrerin hat das völlig anders erklärt.

Als nächstes kommt Schreiben. Heute neu: das „ch“ – die Schweizer hätten ihre wahre Freude. Also wird erstmal eine Seite ch-Wörter geschrieben: suchen, brauchen, Licht… Aber dieses Gekritzel! Eigentlich kann Marie wirklich schön schreiben, allerdings nur, wenn sie will. Heute will sie wohl nicht. Meine dezenten Hinweise, sich vielleicht doch zumindest ein bisschen an die vorgedruckten Linien zu halten, quittiert Marie mit einem bösen Blick und radiert dann so wütend drauflos, dass das halbe Blatt zerknickt wird. Scheinbar sieht die Lehrerin das ähnlich wie ich: „Geht so“ lautete später der Kommentar unter der Hausaufgabe. Kurz, knapp, präzise – und meiner Tochter leider völlig wurst.

Hausaufgaben mit und ohne Duden

Ach ja, wir müssen ja noch Diktat üben. Also: „Meine Oma gibt mir einen Kuchen auf der blauen Bank“. Ein durchaus sinnvoller Satz. Als ich kürzlich meinem besten Freund, seines Zeichens Grundschullehrer in Niedersachsen, diese Aufgabe zeigte, meinte er nur: „Also wir schreiben gerade Buchstaben-Diktate.“ Im Klartext: Er diktierte zu jenem Zeitpunkt noch Buchstaben. Da freuen sich jetzt wieder alle, die das bayrische Schulsystem für grandios halten.
Als bekennender Duden-Leser versetzt es mir übrigens jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn sich V und F, D und T oder A und ER munter abwechseln – alles irgendwie lesbar, aber für mich auch irgendwie total falsch. Klar freut man sich über einen Brief des Töchterleins, aber bei „Liba Papa“ möchte ich nach dem Rotstift greifen und verfluche den Erfinda der Anlauttabelle bis in alle Ewigkeiten.

Die Lese-Hausaufgabe gibt es bei uns meistens abends im Bett – erst liest Marie, dann lesen Papa oder Mama. Manchmal ist das Timing allerdings eher ungünstig: „Gretel schiebt die Hexe mit List in den Ofen“ ist nicht unbedingt ein Satz für empfindsame Mädchengemüter vor dem Einschlafen. Und nachdem wir uns eines anderen Abends in mühevoller Arbeit die zweiseitige Geschichte vom Hasen und vom Igel „erlesen“ haben und ich Marie frage, worum es eigentlich geht, ernte ich einen ratlosen Blick aus müden Kulleraugen. Ich habe früher auch nie verstanden, warum der Hase so blöd ist und zwei Igel nicht unterscheiden kann. Ist wahrscheinlich kein bayrischer Hase.

Ich muss allerdings zugeben, allzu oft bin ich am Kriegsschauplatz nicht zugegen und die Liebste muss den Kampf allein austragen, aber dank modernster Technik bin ich dennoch irgendwie dabei. So ereilte mich kürzlich eine dringende Nachricht, während ich mit den Kollegen vom Flughafen unterwegs zum Hotel war. Die Verzweiflung war groß: Ein gezeichnetes Viereck sollte mit mehreren Linien in ein Viereck und zwei Dreiecke aufgeteilt werden. Glücklicherweise konnte ich auf die Schwarmintelligenz im Bus zugreifen, doch selbst sechs erwachsene Menschen brauchten zehn Minuten für die Lösung – zugegeben, auf dem Weg dahin wurde allerdings noch mal schnell der Satz des Pythagoras bemüht, die Fläche des Dreiecks berechnet und sämtliche Varianten skizziert.

Für Amüsement hingegen sorgen bei mir regelmäßig Arbeitsblätter, die dem Inhalt nach schon einen Weltkrieg hinter sich und sprachlich mindestens eine Rechtschreibreform verpasst haben. Zu den Tipps für sicheres Verhalten im Haushalt gehört demnach, nicht zwei Stühle übereinander zu stapeln und sich keine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen. Und was bitte ist dieses komische Ding mit den vielen Knöpfen und dem langen Hebel? Ich musste erstmal das Bild einer Schreibmaschine googlen, um Marie das vorsintflutliche Utensil zu erklären.
Und dann der Zeitaufwand.

Doch nach Niedersachsen ziehen?

Natürlich, man hat uns gewarnt, und täglich eine Stunde war dann doch etwas übertrieben. Trotzdem frage ich mich an einigen Tagen, wieso man einen Erstklässler so lange an den Schreib- oder Küchentisch zwingen muss, denn zusätzlich zu den Hausis muss ja auch noch das Diktat geübt, das zweite Muttertagsgedicht gelernt oder das zweitausendste Mandala ausgemalt werden – sonst gibt es kein Plus und wer nicht genügend Plus pro Woche hat, der bekommt kein Hausaufgaben-Frei. Wie bitte? Aber scheinbar ist das ein probates Druckmittel – sogar im Urlaub erinnert uns Marie täglich daran, dass sie, wenn wir zurück sind, dringend noch irgendwas malen muss bis zum ersten Schultag.

Besagter Lehrer-Freund aus Niedersachsen meinte zum Zeitaufwand übrigens nur: „Also bei uns sind im Lehrplan zwanzig Minuten Hausaufgaben in der ersten Klasse vorgesehen.“ Oh ihr glücklichen Niedersachsen-Kinder! Genießt die Freiheit da oben im Norden, so lange ihr sie habt! Doch sollte es euch und eure Kinder später je nach Bayern verschlagen, macht euch zu Einschulung auf einiges gefasst – rät euch der Besserwisser-Papa mit Niedersachsen-Abitur.

Helge Zembold

Helge Zembold (34) kommt eigentlich aus der Lüneburger Heide, lebt aber seit nunmehr zehn Jahren in Ingolstadt und erfreut sich an seinem geduldeten Aufenthalt als „Saupreiß“ in Bayern. Mit einer einheimischen Schönheit hat er mit Anton (4) und Marie (6) zwei Mini-Bayern in die Welt gesetzt hat. Wenn es ihm zu viel wird, fliegt er einfach weg – das ist nämlich sein Job als Pilot bei einer großen deutschen Fluggesellschaft. Auch sonst hält ihn nicht viel am Boden, privat fliegt er nämlich auch noch Motor- und Segelflugzeuge und schreibt als freier Journalist darüber. Geerdet wird er höchstens durch Familie, Katze, Hund und Pferd.

foto:pixabay

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8 Kommentare

  • Reply Carmen 17. September 2015 at 8:19 am

    Aber in Niedersachsen ist es doch ganz genauso. Der Lehrerfreund zitiert die Theorie, und vielleicht hat er keine eigenen Kinder in dem Alter. ;o)
    Es ist, das lass dir versichert sein, hier ganz genauso! 😀 Nur, dass das Kind in meinem Haushalt erst ein Mädchen war, dann ein Junge, und jetzt nochmal ein weiterer Junge.
    Bei allllllllen läuft es so, wie bei euch. Bis ins Detail.
    Herzlich, Carmen/Textscheune

  • Reply Christine 17. September 2015 at 9:21 am

    Bei uns in Lüneburg sind es zwanzig Minuten pro Fach und Tag. Um welche Hausaufgaben es sich handelt hängt dabei sehr vom Lehrer ab aber wenn es dann wie bei uns einmal Mathe und einmal Deutsch ist, haben wir auch schon vierzig Minuten. Allerdings dürfen freitags keine aufgegeben werden, was es etwas entspannt. Dafür wird das Hausaufgabenheft erst später eingeführt, so dass man im Moment auf das Kind alleine angewiesen ist. Ich bin gespannt, wie es noch wird. Wir stehen ja ganz am Anfang 😉
    Viele Grüße aus Lüneburg!

  • Reply Frau Mutter 17. September 2015 at 9:42 am

    Ich kann hinzufügen, dass das Hausaufgabenheft eher moderne Kunst ist, Infos findet man nicht immer darin. LG Nina

  • Reply Nele E. 17. September 2015 at 10:13 am

    10 Daumen nach oben! 😉 Genauso isses…
    LG
    Nele E.

  • Reply Ina 17. September 2015 at 1:13 pm

    War das früher anders? Ich bin jetzt 33 und in meiner Grundschulzeit hab ich auch seitenweise Schriftübungen und Arbeitsblätter Mathematik usw. Und das jeden Tag. Hat sich da etwas geändert?

  • Reply Frau Mutter 17. September 2015 at 3:32 pm

    Hallo Ina, nein ich fürchte nicht. Früher habeich auch regelmässig rumgeheult und meine Mutter in den Wahnsinn getrieben bei Mathe und Physik. Das ist einfach keine schöne Aufgabe, die wir Eltern haben. Gruß Nina

  • Reply Nicole 17. September 2015 at 3:39 pm

    Hach ja, wir Niedersachsen ; )

    Genial geschrieben. Und macht mir ein wenig Angst. Aber bis dahin ist es ja noch etwas hin…

    Liebe Grüße
    Nicole

  • Reply Tina 17. September 2015 at 6:38 pm

    Super Text, Ich könnte mich und meine Kinder (beide seit ein paar Tagen Zweitklässler) genau wiederfinden. Allerdings wohnen wir in Niedersachsen!!!

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