Familie

Mein Sohn, der düstere Dichter

7. Januar 2015

Foto 6

Ich hatte euch ja schon mal von den literarischen Ambitionen meines achtjährigen Sohnes Sebastian berichtet. Das war ja eine Art Tagebuch-Reportage mit leider sehr wahren Einsichten. („Meine Vater arbeitet viel, meine Mutter geht einkaufen und meine Schwester nervt manchmal).

Nun hat er die Lyrik für sich entdeckt und ich mache mir ein wenig Sorgen, denn sein Gedicht hat eine verstörend-düstere Anmutung.Sebastian hat sein „Werk“ in den Ferien verfasst, in der gemeinsamen Familienzeit also und es eigentlich hätte besinnlich- gemütlich sein sollen. Nun mache ich mir ein paar Gedanken…

Die ersten Zeilen sind eigentlich noch ganz harmlos:

“ Der Wind zieht vorbei an einem Haus.
Die kleine Spitzmaus sieht heraus.
Sie sieht ein Museum und ein Jubiläum.
Zwei alte Leut feiern ein schönes Fest.“

Alles prima soweit. Heile Welt. Eine kulturell interessierte Spitzmaus und fröhliche Senioren. Ist das nicht schön, wenn das Kind solche Zeilen verfasst? Das läßt doch darauf schließen, daß er sich geborgen fühlt und ganz zufrieden ist mit seinem Leben.

Bei der nächsten Zeile würden Kinderpsychologen wohl aber aufmerken.

„Ein kleiner Junge hat die schwarze Pest.“

(Oh mein Gott, was will uns der Autor damit sagen?!? Vielleicht war das mit der Spitzmaus ja nur eine Illusion, eine Fata Morgana, und nun wird die Realität beschrieben?)

Nach diesem Hammer-Vers wird es auch nicht besser.

„Der kleine Junge geht mit seinen Eltern zum Schlachtensee.
Da tut er sich die Füße weh.
Diesa (sic) Bengel war schon immer bekannt.
Hat ein Hochhaus angebrannt und läuft auch
manchmal gegen die Wand.
Er läuft gegen die Wand, wann er will.
Er fasst auch manchmal an den Grill.“

Nicht nur haben wir wahrscheinlich einen Fall einer längst ausgerotteten Seuche in Berlin-Zehlendorf. Nein, das Kind ist auch ein Brandstifter, der sich selbst verletzt. Nun stellt sich die Frage nach der tieferen Bedeutung dieser Verse. Spiegelt das die Gefühle des Autors wider? Meint er sich vielleicht selbst damit? Oder hat er einfach nur unbemerkt am smartphone der Mutter herum gespielt und sich komische Videos auf youtube angeschaut?

Man kann es natürlich auch anders auffassen. Die erste Reaktion meines Mannes war lautes Gelächter. Und in der Tat erinnert das Gedicht an das morbid-putzige und total lustige Adventsgedicht von Loriot. Damit kann ich schon eher leben: Mein Sohn als Nachfolger von Loriot. Das wäre doch was!

Das ist zwar nicht das übliche Sonntags-Aufsagen-Gedicht aus dem Poesiealbum, aber ich bin ganz schön stolz auf meinen kleinen Dichter. Er drückt sich aus, was immer seine Inspiration gewesen sein mag, und hat keine Scheu vor großen Bildern und Drama. Das wird noch spannend, glaube ich…..

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11 Kommentare

  • Reply Mara 7. Januar 2015 at 9:37 am

    Pah, da können sich die ganzen Hochbegabten in seiner Klasse eine Scheibe abschneiden. Von wegen „Ihr Sohn ist ganz normal“ 😉

    Ich finde das sehr cool, so etwas in diesem Alter zu dichten! Weiter so!

  • Reply Schnipseltippse 7. Januar 2015 at 10:41 am

    Das ist TOLL!
    Ich weiss noch, dass ich in der 5. oder 6. Klasse einen Aufsatz schreiben musste und der Lehrer neben die (gute) Note schrieb „Sehr makaber“. 😀
    Mehr davon, Sebastian!

    LG
    Schnipseltippse

  • Reply Frau Mutter 7. Januar 2015 at 10:56 am

    Oh ich sehe schon, er hat bereits zwei zukünftige Leserinnen! Ich freue mich sehr, danke fürs feedback! LG Nina

  • Reply Birte 7. Januar 2015 at 12:22 pm

    Finde ich super – egal wie oder was, die Phantasie ist doch was tolles 🙂

    Und es muss ja auch immer erstmal ein passendes Reimwort gefunden werden – Schlachtensee -> Füße weh!
    Fest -> Pest!

    Stark!

  • Reply Anna 7. Januar 2015 at 11:55 pm

    Super!!!
    Wäre nur vielleicht ratsam deinen Sohn nicht allzu früh an Gottfried Benn ranzuführen 😉

    Übrigens ne sehr schöne Schrift!

  • Reply Frau Mutter 8. Januar 2015 at 9:43 am

    Haha, an Benn hatte ich auch gedacht, Anna.
    Birte: Ja, Phantasie ist etwas Wunderbares, darüber freue ich mich auch sehr. LG Nina

  • Reply Martine Sinemus - van Kolfschoten 8. Januar 2015 at 12:17 pm

    Supergedicht!!!!! Ich schliesse mich dein Ehemann an und lache darum. Könnt ihr schön benutzen für seine Hochzeitsrede!

  • Reply Perlenmama 8. Januar 2015 at 6:41 pm

    Auweia, das hört sich wirklich sehr düster an. Was hat er denn selbst über dieses Gedicht gesagt? Oder hat er es wirklich einfach so stehen lassen…? Gruselig.

  • Reply Frau Mutter 9. Januar 2015 at 7:34 am

    Der Künstler hat sich zu seinem Werk nicht geäußert, Perlenmama….Er überlässt mir die Interpretation. Gruß Nina

  • Reply Gofmann 17. November 2016 at 9:34 pm

    Bei diesen Zeilen, behauen mit Beilen und vollendet mit Feilen, will ich nun verweilen.

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